"Was wir ganz klar sehen, ist, dass fast jeder in Europa ungesunde Luft einatmet." So fasst Forschungsleiter Roel Vermeulen die Ergebnisse einer neuen Studie zur Luftqualität im britischen "Guardian" zusammen. "Das ist eine ernste Krise für die öffentliche Gesundheit." Vermeulen ist Professor für Umweltepidemiologie an der Universität Utrecht. Er leitet das europaweite Forschungsteam, das in dem EU-geförderten Expanse-Projekt die Luftqualität in Europa und ihre gesundheitlichen Konsequenzen untersucht.
Bis zu 400.000 Menschen sterben in Europa jedes Jahr an den Folgen schlechter Luft, sagen Expertinnen und Experten. Schlechte Luftqualität und Feinstaub im Besonderen erhöht die Wahrscheinlichkeit für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs, wirkt sich auf die Funktionsfähigkeit des Gehirns aus und kann sogar zu Totgeburten führen, heißt es in einer von der Fachzeitschrift "Nature" veröffentlichten Studie. Die WHO bezeichnete Luftverschmutzung als "größte umweltbezogene Bedrohung für die menschliche Gesundheit".
Im Osten Europas ist die Luft besonders schlecht
Die Ergebnisse sind verheerend deutlich. 98 Prozent der Menschen in Europa leben in Gebieten, in denen die Richtlinien der Weltgesundheitsorganisation zum Teil deutlich gerissen werden. Am schlechtesten schneiden östliche Länder wie Rumänien, Albanien oder Polen ab. In Serbien und Nordmazedonien übersteigt die Luftverschmutzung den Richtwert gar um das Vierfache. Der "Guardian" stellt die Werte in Zusammenarbeit mit den Forschenden in einer Karte dar.
Doch auch in Deutschland leben drei Viertel der Bevölkerung in Gebieten, in denen der Feinstaubwert mindestens doppelt so hoch ist, als die WHO-Empfehlung. Die Forschenden beziehen sich in ihrer Erhebung auf den Feinstaubwert PM 2,5. Das sind kleinste Partikel mit einem Durchmesser unter 2,5 Mikrometern. Dieser Feinstaub ist so klein, dass er in die Atemwege eindringen und die Lunge nachhaltig schädigen kann. Nicht mehr als 5 Mikrogramm pro Kubikmeter (µg/m3) Luft empfiehlt die WHO seit einer überarbeiteten Richtlinie aus dem Jahr 2021.
In Deutschland liegen Städte wie Stuttgart, München, Frankfurt oder Köln durchschnittlich bei 10-12 µg/m3. In Berlin oder dem Ruhrgebiet ist die Luft mit 12-14 µg/m3 noch schlechter, einzig übertroffen von Dresden mit 14-16 µg/m3 – das dreifache der WHO-Empfehlung. Deutlich besser sieht es beispielsweise rund um den Schwarzwald oder im Allgäu aus, mit Feinstaubwerten von 5-7,5 µg/m3.
Luftqualität in Deutschland: Das sind die schmutzigsten und die saubersten Orte

In Europa ist das Heizen von Gebäuden für fast die Hälfte der Feinstaubbelastung verantwortlich. Auch die Industrie belastet die Luftqualität, sowie die Landwirtschaft und der Straßenverkehr.
Die Daten der Forschungsgruppe stammen aus vielfältigen Quellen wie Satelliten, Messstationen und Behörden. Erhoben wurden sie im Jahr 2019, doch der Forschungsgruppe zufolge hätte sich die Luftqualität nur unwesentlich verändert. Der Forschungsleiter und Umweltepidemiologe Roel Vermeulen apelliert deshalb an die Entscheiderinnen und Entscheider der EU: "Dies sind die besten Daten, die derzeit zur Verfügung stehen. [...] Jetzt müssen die Politiker mutig und ehrgeizig sein und die dringend notwendigen Schritte unternehmen, um diese Krise zu bewältigen."
Quellen: National Library of Medicine, Nature, "Guardian", Europäische Umweltagentur, WHO