Am Ende fiel das Kartenhaus um Großbritanniens Premier schneller zusammen als erwartet. Nach der offenen Revolte gegen ist Johnson als Parteichef der Konservativen zurückgetreten. Seinen Posten als britischer Regierungschef will er jedoch vorerst noch nicht räumen.
Nach einer ganzen Reihe von Skandalen waren seit Dienstagabend mehr als 50 Minister und andere Regierungsvertreter aus Protest gegen Johnson zurückgetreten. Am Donnerstagmorgen trat dann auch die erst vor zwei Tagen nach dem Rücktritt ihres Vorgängers ernannte neue Bildungsministerin Michelle Donelan zurück. Wenige Minuten zuvor hatte Finanzminister Nadhim Zahawi, der ebenfalls erst vor zwei Tagen von Johnson ernannt wurde, diesen über Twitter aufgefordert "das Richtige zu tun und jetzt zu gehen".
Die Reaktionen aus der Politik ließen nicht lange auf sich warten.
Labour-Chef Keir Starmer: "Wir brauchen einen echten Regierungswechsel"
Der Oppositionsführer Keir Starmer von der sozialdemokratischen Labour Party war einer der ersten hochrangigen Politiker, der sich äußerte.
"Die Konservativen haben zwölf Jahre lang für wirtschaftliche Stagnation, sinkende öffentliche Dienstleistungen und leere Versprechen gesorgt. Wir müssen nicht die Torys an der Spitze austauschen – wir brauchen einen echten Regierungswechsel. Wir brauchen einen Neuanfang für Großbritannien", twitterte der 59-Jährige. In einem unter dem Tweet angehängten Brief schreibt der Labour-Chef, Johnsons Rücktritt seine "eine gute Nachricht für das Land", käme allerdings viel zu spät. Der Premier sei von Anfang an ungeeignet für das Amt und für Lügen, Skandale und Betrug verantwortlich gewesen. "Genug ist genug", resümiert Starmer.
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George Freeman, der erst am Morgen seinen Rücktritt als Wissenschaftsminister angekündigt hatte, geht noch einen Schritt weiter. Er forderte Johnson auf, sich bei Queen Elizabeth zu entschuldigen und umgehend einen geschäftsführenden Premier zu ernennen. "Wir brauchen die Minister wieder an ihren Schreibtischen", so Freeman auf Twitter.
Schottische Premierministerin Sturgeon: Die Tories hätten Boris Johnson nie zum Vorsitzenden wählen dürfen
Die schottische Premierministerin Nicola Sturgeon spricht von einem "weitverbreiteten Gefühl der Erleichterung", dass das "Chaos der letzten Tage" nun ein Ende finden werde.
Dass sich Johnson noch bis zum Herbst im Amt halten kann, bezweifelt sie jedoch. Wie Starmer attestiert sie Johnson, von Beginn an der Falsche für das Amt des Regierungschefs gewesen zu sein. Die Tories hätten ihn nie zum Vorsitzenden machen sollen.

Dass Johnson noch bis zum Herbst durchhält, hält auch Simon Hoare, der konservative Vorsitzende des Ausschusses für Nordirland, für unglaubwürdig. Zwar sei die Situation "verfassungsrechtliches Neuland", "aber er muss gehen und gehen heißt gehen", twittert Hoare.
Umweltministerin gibt verspätet Rücktritt bekannt
Etwas verspätet schließt sich auch Umweltministerin Rebecca Pow der Reihe der meuternden Minister an. Die 61-Jährige verkündete am Vormittag, ihr Amt niederzulegen. In einem auf Twitter veröffentlichten Brief an Johnson, den sie offenbar vor dessen Rücktritt verfasst hat, schreibt sie, dass die Position des Premierministers "nicht mehr haltbar" seien.
"Westminster ist ein Chaos", attestiert indes Wirtschaftsminister Kwasi Kwarteng.
Auch er fordert "so schnell wie möglich einen neuen Regierungschef". Die Räder der Regierung müssten weiterlaufen.
Besonders hart teilt Dominic Cummings, Johnsons ehemalige rechte Hand, gegen den scheidenden Premier aus. Cummings, der inzwischen als Johnsons Erzfeind gilt, fordert die Konservativen auf, den Regierungschef noch heute des Amtes zu entheben. "Schmeißt ihn HEUTE raus, oder er wird ein Gemetzel verursachen", twittert Cummings.
Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel wird fortlaufend aktualisiert.
Quellen: BBC; "The Guardian"; AFP