Der britische Premierminister David Cameron hat in einem Brief an den EU-Ratspräsidenten Donald Tusk vier Punkte genannt, die für einen Verbleib seines Landes in der Europäischen Union zwingend sind. Die europäischen Staats- und Regierungschefs hatten die Briten immer wieder aufgefordert, ihre Reformwünsche doch bitteschön etwas konkreter zu fassen. Einen Kolumnisten des "Daily Telegraph" erinnerte das Zieren seiner Regierung neulich "an den längsten Striptease der Welt". Dann aber lieferte Cameron endlich seinen Wunschzettel.
- Nicht Euro-Länder wie eben Großbritannien dürften von den Euro-Ländern nicht benachteiligt werden und sollten auch nicht für die Euro-Stabilisierung einstehen müssen.
- Das (eher metaphorisch gemeinte) Ziel einer "immer engeren Union zwischen den Völkern" soll für die Briten nicht mehr bindend sein.
- Die EU soll sich insgesamt wettbewerbsfähiger aufstellen, weil die Belastungen für die Unternehmen nach wie vor zu groß seien.
- Und: Sozialleistungen für EU-Einwanderer nach Britannien sollen gekürzt und der Zuzug insgesamt stärker kontrolliert werden. Kontinentaleuropäer sollen beispielsweise erst nach vier Jahren Vergünstigungen wie Steuererleichterung oder Kindergeld erhalten.
Das hört sich härter an als es ist, es hätte schlimmer kommen können. In Wahrheit ist es ein minimalistischer Katalog. Und also wurden in den meisten europäischen Ländern Camerons Einlassungen auch als handzahm und deshalb wohlwollend aufgenommen. Nur in Großbritannien selbst war das anders. Hier wird erbittert debattiert. Die konservative "Daily Mail" fragte konsterniert: "Is that it, Mr Cameron?" - ist es das schon? Euroskeptiker im Unterhaus schimpften: "Viel zu dünn". "Pig in a poke", sinngemäß Katze im Sack, nannte der Europa-Kritiker Sir Bill Clash den Forderungskatalog. Er geht den Kritikern schlicht nicht weit genug. Sie wollten beispielsweise eine umfangreiche Reform der Agrarpolitik und viel stärkere Beschränkungen beim Zuzug vom Festland.
Cameron will keinen vergrätzen
Cameron musste also einen Balanceakt hinlegen: Die Europäer nicht vergrätzen mit allzu dreisten Forderungen einerseits. Und zu Hause mit der Kritik leben, die Europäer nicht vergrätzt zu haben mit allzu dreisten Forderungen.
Beides ist ihm gelungen.
David Cameron, muss man wissen, ist bekennender Pro-Europäer. Er sagt, das In/Out-Referendum werde die wichtigste politische Abstimmung seines Landes in Jahrzehnten. Und er will nicht als Premier in die Geschichte eingehen, in dessen Amtszeit die Nation die Union verließ. Das erklärt die Milde der Reformwünsche.
Nichtsdestotrotz werden die Verhandlungen kein Spaziergang für die Briten. Die ersten drei Punkte gelten als vergleichsweise problemlos und decken sich sogar mit den Vorschlägen vieler anderer Mitgliedsstaaten. Der vierte Punkt indes dürfte zu steinigen Diskussionen auf dem Kontinent führen. Die Beschneidung von Grundrechten für EU-Einwanderer galt bislang als absolutes Tabu. Insbesondere die osteuropäischen Nationen, Polen voran, werden dagegen opponieren. Mit einiger Erleichterung wurde auf der Insel deshalb registriert, dass Angela Merkel einlenkend reagierte. Man wird sich auf einen Kompromiss einigen, den Cameron daheim als Sieg verkaufen kann - und dafür dennoch gepeitscht wird.
"Wollen wir auf der rechten Seite fahren?"
Selbst der pro-europäische "Guardian" witzelte über die vorweihnachtlichen Wünsche des Premiers und persiflierte Camerons Brief an Donald Tusk: "Donald, bitte lass nicht zu, dass uns das Europäische Parlament dazu zwingt, auf der rechten Seite zu fahren."
Bis zur Abstimmung über den EU-Verbleib spätestens Ende 2017 wird der Premier jedenfalls turbulente Zeiten erleben. Und zwar nicht nur auf dem Festland. Vor allem zu Haus.
Es geht gerade erst los.