Hilfe für afghanische Kinder "Vertrauen, das war unsere einzige Chance"

Hasibullah, 13, aus Afghanistan, litt an einem schweren Herzfehler. Sein Glück: Der Verein "Kinder brauchen uns" brachte ihn nach Deutschland, ermöglichte ihm eine lebensrettende Operation. stern.de sprach in Kabul mit seiner Mutter und seiner deutschen Gastmutter.

Nilofar Hay, 40, vier Kinder, lebt in Kabul, ihr Mann ist arbeitslos:

Frau Hay, Sie haben Ihren Sohn Hasibullah fast fünf Monate lang nicht gesehen, wie hat er sich in Deutschland verändert?

Er ist gesund geworden, das ist das Wichtigste. Und: Er ist groß geworden, auch ein bisschen dicker (Hasibullah lacht, guckt verschämt). Und dann ist da die Kleidung - er trägt andere Hosen (Jeans), und, (sie zieht ihn am Ärmel und mustert ihren Sohn), auch das ist anders, ungewohnt (sie zeigt auf sein T-Shirt).

Waren Sie eifersüchtig, dass ihr Sohn vorübergehend auch in Deutschland mit Frau Wolff sozusagen eine zweite Mami hatte?

Nein. Frau Wolff hatte versprochen, auf ihn aufzupassen. Ich habe sogar das Gefühl, dass mein Sohn mehr Zuwendung in ihrer Familie erfahren hat, als wir ihm geben können. Das Wichtigste für uns war von Anfang an, dass er gesund wird, es ihm wieder gut geht. Wo das passieren würde, spielte keine Rolle für uns. Aber ich danke den Deutschen von ganzem Herzen, dass sie mein Kind gesund gemacht haben (sie drückt ihren Sohn an sich).

War es nicht schlimm für Sie, so lange auf ihn verzichten zu müssen, ihn nicht sehen zu können?

Wir hatten Fotos von ihm. Und wir konnten häufig miteinander telefonieren, so wusste ich immer, wie es ihm geht und dass ich mir keine Sorgen machen muss.

Hatten Sie keine Angst, dass Ihr Kind nicht mehr nach Afghanistan zurückkommt?

Nein, wir sind da sehr tolerant. Für uns ist wichtig, dass die Operation gut verlaufen ist. Wissen Sie, wir waren so glücklich, dass er auf der Liste stand, für eine Behandlung in Deutschland. In Afghanistan wäre er in naher Zukunft gestorben. Natürlich hatten wir auch ein paar schlaflose Nächte. Aber: Wir haben den Ärzten und der Gastfamilie vertraut - das war unsere einzige Chance.

Wird sich Hasibullahs Leben in seiner Heimat Afghanistan durch seinen Aufenthalt in Deutschland nun verändern?

Ja, man hat uns überzeugt, dass es für ihn wichtig ist, in die Schule zu gehen. Die staatlichen Schulen sind zwar nicht sehr gut, aber eine Privatschule können wir uns nicht leisten.

Wie haben Sie von der Arbeit des Vereins "Kinder brauchen uns" erfahren?

Wir haben 13 Jahre lang eine Möglichkeit gesucht, Hasibullah operieren zu lassen - hatten aber nie das Geld für eine Behandlung. Selbst wenn wir es gehabt hätten, in Kabul gibt es keine Herzspezialisten. Wir hätten ihn nach Pakistan bringen müssen. Dann haben wir von einer befreundeten Familie von dem deutschen Projekt gehört, wir haben uns vorgestellt bei den deutschen Ärzten - und dann ging es ganz schnell. Sie haben ihm ein neues Leben geschenkt.

Sabine Wolff, 52, drei Kinder, lebt in Hamburg:

Frau Wolff, welche Krankheit hatte Hasibullah?

Er hatte einen schweren Herzfehler, ein Loch in der Herzscheidewand. Er war kurzatmig, konnte kaum noch gehen. Er bekam in Hamburg eine neue Herzklappe und eine neue Lungenschlagader. Nun kann Hasibullah Rad fahren, schwimmen - einfach herumtoben - wie andere Kinder auch.

Welche neuen Dinge hat Hasibullah in Deutschland für sich entdeckt?

Kind sein und sich frei bewegen zu können, ohne Angst vor blutigen Anschlägen. Das war das Schönste für ihn. Zuhause in Kabul gehen er und seine Familie wegen der vagen Sicherheitslage kaum aus dem Haus. Sie wirken alle sehr unsicher, verschüchtert. Sie haben resigniert, dass es vielleicht einmal besser werden wird in ihrem Land. Vor dem Krieg, erzählten sie mir, hätten sie ein gutes Leben geführt.

Was unterscheidet ihn von deutschen Jungs?

Er legte manchmal so ein Machogehabe an den Tag. Er wollte sich gern bedienen lassen, so kennt er das von zuhause. Die Männer sitzen dort oft nur rum, die Frauen müssen sich um Haushalt und Kinder kümmern. Bei uns hat Hasibullah gelernt, mit zu helfen, sich auch um andere zu kümmern.

Was hat Sie besonders überrascht an dem Jungen?

Hasibullah hat sich sofort in unser Leben integriert. Er war immer bemüht, so zu leben wie wir. Fließend Wasser, eine Badewanne, eine saubere Toilette, Zähne putzen – das alles kannte er ja vorher nicht, aber er hat sich rasch umgestellt.

Glauben Sie, Hasibullah hat in seiner Heimat Afghanistan eine Zukunft?

Ich wünsche ihm das von Herzen. Aber es wird nicht leicht. Wir wollen ihm auf alle Fälle einen Schulbesuch ermöglichen, seine Eltern sind damit einverstanden. Vielleicht kann er sogar später einmal studieren, vielleicht sogar in Deutschland. Dabei würden wir ihn unterstützen. Bildung ist auch für die Kinder in Afghanistan die einzige Chance, etwas aus ihrem Leben zu machen. Schon während seines Aufenthaltes bei uns habe ich versucht, ihm zu erklären, dass er in Afghanistan gebraucht wird. Wenn er lernt, studiert, dann kann er später das Land voranbringen.

Sie haben Hasibullahs Eltern kennen gelernt. Wie würden sie ihr Verhältnis zu Hasibullah und seinen drei Geschwistern beschreiben?

Die Kinder in Afghanistan werden sehr streng erzogen, da werden auch mal Schläge verteilt. Zwischen Hasibullah und seinen Eltern habe ich aber auch einen liebevollen Umgang beobachtet. Er wurde gestreichelt, in den Arm genommen.

Interview: Stefanie Zenke