Pater Raffael Kutaimi, Vorstand der syrisch-katholischen Gemeinde in Bagdad, strahlt am Tag nach den Anschlägen Ruhe und Unbeugsamkeit aus. "Die Christen lassen sich natürlich nicht aus dem Land treiben", erklärte er am Montag im Gemeindebüro seiner Mutter-Erlöserin-Kirche. "Sie sind seit 2000 Jahren hier und leben mit ihren muslimischen Brüdern in Eintracht zusammen", fügte er hinzu.
Autobomben vor vier Kirchen in Bagdad
Tags zuvor war vor der Mutter-Erlöserin-Kirche gegen Ende der Abendmesse eine Autobombe detoniert. Im muslimischen Irak ist der Sonntag ein Werktag, die Christen gehen deshalb vor allem am Abend zur Messe. "Unser Gotteshaus war voll, mindestens 1000 Menschen wohnten der Andacht bei", beschreibt Pater Raffael. "Die Kirchenfenster zerbarsten, die Splitter verletzten viele Gläubige an Gliedmaßen und Gesicht." Insgesamt explodierten an diesem blutigen Sonntagabend Autobomben vor vier Kirchen in Bagdad und vor einer in Mossul. Mindestens elf Menschen starben, Dutzende wurden verletzt.
Auch muslimische Iraker zeigten sich bestürzt. "Wenn sie jetzt auch noch die Gotteshäuser der Christen angreifen, wo soll das enden?", fragen manche. Es zeige sich, dass der Terror vor nichts und niemandem Halt mache, sagen andere. Um Chaos und Panik zu stiften, sei jedes Mittel recht. Simple Gemüter mögen in den Christen natürliche Verbündete der amerikanischen Besatzer erblicken.
"Talibanisierung" des Landes
Bei den Drahtziehern des Terrors mag aber auch Kalkül dahinter stecken. Denn die 800.000 Christen im Irak, die weniger als vier Prozent der Bevölkerung stellen, sind überdurchschnittlich stark unter den fachlichen und intellektuellen Eliten vertreten. Viele von ihnen sind Ärzte, Künstler, erfolgreiche Geschäftsleute. Terrorgruppen, die auf eine "Talibanisierung" des Landes abzielen, könnten sich dieser Eliten entledigen wollen. So wurde in letzter Zeit auch eine auffallend hohe Zahl von Mordanschlägen auf Universitätsprofessoren und Rektoren verzeichnet.
Die christlichen Gemeinden im Irak - unter ihnen Chaldäer, Syrer, Armenier und Orthodoxe - unterstehen zumeist der Papstkirche in Rom. Einige von ihnen, wie die Chaldäer, die noch das von Jesus Christus gesprochene Aramäisch verwenden, befolgen Rituale aus der Frühzeit des Christentums. Unter Saddam Hussein waren sie toleriert, genossen Schutz vor Übergriffen religiöser Fanatiker und konnten - wie etwa der langjährige Außenminister Tarik Asis - in höchste Ämter aufsteigen.
Christen waren schon früher Opfer
Im irakischen Nachkriegs-und Besatzungschaos waren einzelne Christen schon früher Opfer von Übergriffen geworden. Dass sich Gewalt gegen ihre Kultstätten richtete, geschah am Sonntag aber zum ersten Mal seit dem US-Einmarsch.
Die Anschläge tragen die Handschrift wahabitischer Terrorzellen. Die Wahabis sind Fundamentalisten, die unter den Sunniten des Irak eine radikale Minderheit darstellen und die die vermeintliche islamische Ur-Gemeinschaft wiederherstellen wollen. Ihre Überzeugungen inspirierten auch die Taliban in Afghanistan sowie Osama bin Ladens Terror-Netzwerk El Kaida.
"Warum wir?"
Die Christen haben nun das Gefühl, als Minderheit zwischen die Sägeblätter der religiösen Fanatiker geraten zu sein. "Warum wir?", fragt sich der Maler Samer Meti. Sein Haus wurde beim Angriff auf die armenische Kirche, die zwei Blöcke entfernt von der Mutter-Erlöserin-Kirche liegt, schwer beschädigt. Wie durch ein Wunder wurde nur sein Neffe leicht verletzt, seine beiden kleinen Kinder blieben unversehrt. "Das ist jetzt ein Mal passiert, da will ich nicht zu viel daraus ableiten", versucht Meti, den Schock zu verdrängen. "Aber ein zweites Mal wäre eine echte Bedrohung."