Die Ankündigung Chiracs, Atomwaffen künftig auch gegen "Terrorstaaten" einzusetzen, ist ein Paukenschlag. Ort und Zeitpunkt lassen vermuten, dass neben dem Iran vor allem innenpolitische Motive eine Rolle spielten. Das nukleare Muskelspiel könnte dem angeschlagenen Präsidenten helfen, sein Erbe gegen Sarkozy zu sichern. Schließlich knüpft Chirac mit seiner Drohung an den verblichenen Glanz der ehemaligen Weltmacht Frankreich an. Nebenbei rechtfertigt er die enormen Ausgaben, die der französische Steuerzahler für Modernisierung und Unterhaltung der Atomwaffen aufbringen muss.
Ob damit Staaten wie der Iran langfristig davon abgehalten werden, sich atomare, biologische oder chemische Waffen anzuschaffen, bleibt abzuwarten. Allerdings steigt der Druck auf den Iran: Mit Frankreich signalisiert zum ersten Mal ein europäischer Staat, dass nicht nur die USA bereit sind, den nuklearen "Nachwuchs" in Schach zu halten. Das macht einen entscheidenden Unterschied und könnte den Verhandlungen zwischen Europa und dem Iran eine neue Wendung geben. Zu wünschen wäre es in jedem Fall.
Darüber hinaus darf die europapolitische Dimension der Ankündigung nicht unterschätzt werden. Nach der Blamage des verlorenen Verfassungsreferendums gewinnt Chirac fürs erste die Initiative zurück. Sein Vorstoß drückt das Bemühen aus, die Rolle Frankreichs in Europa wieder aufzuwerten.
Die nukleare Option, über die Frankreich und Großbritanniens verfügen, ist bisher bei allen Überlegungen zur europäischen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik ausgeklammert worden. Doch schon die Europäischen Sicherheitsstrategie, die 2003 verabschiedet wurde, stellte implizit die Frage, ob sich Atomwaffen auch dafür einsetzen lassen, um Terroristen entgegenzutreten und die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen einzudämmen. Jetzt hat Chirac diese Karte ausgespielt. Das werden nicht alle mögen. Ignorieren oder aussitzen können sie es nicht.
Für Insider kommt der Wechsel der französischen Nuklearstrategie nicht überraschend. Frankreich modernisiert seine Nuklearstreitkräfte seit 1996 mit beträchtlichem finanziellem Aufwand. Das Ziel ist - die Amerikaner haben es vorgemacht -, nicht nur mit massiven Vergeltungsschlägen drohen zu können, sondern die Abschreckungswirkung gerade durch die Fähigkeit zu flexiblen, selektiven und chirurgisch genauen Nuklearschlägen zu erhöhen. Immer deutlicher wurde in den Diskussionen auch, dass die französischen Atomwaffen nur dann eine dauerhafte Existenzberechtigung haben, wenn sie eingebunden sind: am besten als europäischer Pfeiler einer transatlantischen Verteidigung. Doch in dieser Hinsicht sind die Absichten Chiracs, so steht zu befürchten, ambivalent.
Stefani Weiss, Expertin für Europa und EU-Sicherheitspolitik, arbeitet für die Bertelsmann-Stiftung