Im Jahr 70 n. Chr. bekriegte Titus, Sohn des römischen Kaisers Vespasian, die Stadt Jerusalem und zerstörte sie. Einer der wichtigsten Geschichtsschreiber dieser Zeit war Flavius Josephus. Flavius wurde 37 oder 38 n. Chr. in Jerusalem geboren, war Jude hochadliger Abstammung, hoch gebildet und Anhänger der Pharisäer. Er war führend am Aufstand von 66/70 n. Chr. beteiligt, ging dann aber zu den Römern über. In seinem Buch »Der Jüdische Krieg« (»De Bello Judaico«) berichtet er von Belagerung, Kampf und Untergang seiner Heimatstadt. Nach dem Brand des Tempels werden die Juden ein Volk in der Diaspora:
Kreuzigung vor der Stadtmauer Jerusalems
»Titus [...] gab auch Anweisung, dass eine Reitereinheit die Juden auffangen sollte, die die Stadt verließen, um in den Abgründen ringsum nach Lebensmitteln zu suchen. [...] Wurden sie ergriffen, dann verteidigten sie sich, wie es ihnen die Not eingab; denn wenn es bereits zu Kampfhandlungen gekommen war, dann schien es doch nicht mehr am Platz, um Milde zu flehen. So wurden sie dann gegeißelt und auf jede Art gequält, ehe man sie tötete, und zuletzt wurden sie im Angesicht der Mauer ans Kreuz geschlagen. [...] Die Soldaten waren so wütend und hasserfüllt, dass sie ihre Opfer noch verspotteten und jeden in einer anderen Weise kreuzigten, und schließlich war gar kein Platz mehr vorhanden für die Kreuze, und auch die Kreuze reichten nicht mehr aus für die Menge an Körpern.«
Aufgeschlitzte Bäuche
»Bekanntlich verschluckten die Juden Goldstücke, ehe sie die Flucht ergriffen. [...] Nun aber war diese kleine Vorsichtsmaßnahme bei einem einzigen ans Licht gekommen, und schon hieß es in den Lagern überall, die Überläufer hätten bei ihrer Ankunft lauter Gold in ihrem Inneren. Die Menge [...] schlitzte nun den um Gnade Flehenden die Bäuche auf, um ihre Mägen zu durchsuchen. Das erscheint doch als der Gipfel des Unheils, das die Juden traf. In einer einzigen Nacht wurde nämlich etwa 2000 Menschen der Leib aufgeschnitten. [...] Freilich waren es nur wenige, bei denen etwas zu finden war, die Mehrzahl starb einzig wegen der bloßen Hoffnung auf Gewinn.«
Der Brand des Tempels
»Titus aber meinte, selbst wenn die Juden auf den Tempel stiegen und sich von dort aus zur Wehr setzen, solle man sich nicht an leblosen Dingen statt an Menschen dafür rächen, und auf keinen Fall dürfe dieses prachtvolle Bauwerk dem Feuer überantwortet werden, würden doch auch die Römer den Verlust zu spüren bekommen, wie ja auch der Tempel, wenn man ihn erhalte, ein Schmuckstück des Römerreichs sein werde. [...] Aber Gott hatte es schon längst gefügt, dass dieser ein Raub der Flammen werden sollte. [...] Freilich entzündeten diesmal die Einwohner selbst den Brand, und sie waren es, die den Tempel durch ihre Schuld in Schutt und Asche sinken ließen. [...] Und wie es zu geschehen pflegt, wenn sich eine Menge ohne Ordnung in Bewegung setzt, kam es zu einer entsetzlichen Panik, die von einem Ohren betäubenden Lärm begleitet war.«
Kriegstote
»Im Ganzen waren in diesem Kriege 97.000 Juden in die Gefangenschaft geraten, während 1.100.000 im Verlauf der Belagerung ihr Leben lassen mussten. Die Mehrzahl davon waren der Herkunft nach Juden, doch stammten sie zumeist nicht aus Jerusalem. Anlässlich des Festes der ungesäuerten Brote waren nämlich die Menschen aus dem ganzen Lande in die Hauptstadt gekommen, und weil sie hier jählings vom Krieg überrascht wurden, war es nicht zu vermeiden, dass bei den eng zusammen gedrängten Volksmassen die Pest ausbrach, zu der sich später noch der Hunger als das noch größere Übel gesellte.«
Die Schlacht von Massada
»Die Römer vermeinten, der Mauerkonstruktion besser durch Feuer beikommen zu können, und ließen ihre Leute eine Menge Brandfackeln darauf werfen. Tatsächlich ging diese großenteils hölzerne Mauer gleich in Flammen auf, und da sie nur lose in sich gefügt war, brannte sie alsbald bis zum Boden hin. Schon gleich, wie es zu brennen anfing, erhob sich jedoch zum großen Schrecken der Römer ein Nordwind, der die Flammen von der Burg hinweg gegen die Angreifer jagte. Und schon wollten diese an ihrem Kriegsglück verzweifeln, da die Maschinen in Gefahr waren, vom Feuer ergriffen zu werden, da drehte sich wie durch Eingreifen Gottes mit einem Mal der Wind, wurde zum Südwind und nahm an Stärke zu, so dass die Flammen gegen die Mauer zurückschlugen, die schließlich in ihrer ganzen Höhe brannte. Das war für die Römer das Zeichen, dass die Gottheit zu ihren Gunsten eingriff.«
Selbstmord statt Besatzung
»...es siegte die Einsicht, dass dies der beste Liebesdienst war, den sie sich erweisen konnten. Und so umarmten sie denn voll Liebe ihre Frauen und vereinten sich traulich mit ihren Kindern und küssten sie unter Tränen ein letztes Mal, ehe sie zur Tat schritten, so als bedienten sie sich einer fremden Hand. Die Einsicht in die Martern, die ihnen bei den Feinden bevorstanden, gab ihnen den nötigen Trost bei diesem Morden, das ihnen die Not abverlangte. [...] Dann wählten sie durch das Los zehn Männer aus, die alle übrigen vollends hinschlachten sollten. Da legte sich jeder an die Seite seiner Frau und seinen Kindern nieder, umfing sie mit den Armen und erwartete bereitwillig den Todesstreich aus den Händen jener zehn, die die traurige Aufgabe zu erfüllen hatten. Und sowie diese furchtlos ihres Amtes gewaltet hatten, da ließen sie das Los in gleicher Weise über sich selbst entscheiden: Wen es traf, der sollte die anderen neun und am Ende sich selber töten.«