Menschen, die Mut machen Die Stimme der Dalits

Von Bernd Hauser
In der Adventszeit stellen wir jeden Tag einen Menschen vor, den sein Engagement für andere oder der Umgang mit dem eigenen Schicksal auszeichnet. Heute: Ruth Manorama. Sie hat in Indien die Organisation "Service Society" gegründet, um den 200 Millionen Unberührbaren, den Dalits, ein halbwegs würdevolles Leben zu ermöglichen.

Von ihren vierzig Mitarbeitern lässt Ruth Manorama sich Schwester nennen - nicht "Madam", wie es in Indien üblich wäre. Doch die knappe Art, wie sie mit ihnen redet, macht deutlich, dass sie vor allem eins ist: Die Anführerin in einem Kampf, der sie über Indien hinaus bekannt gemacht hat.

Im Jahr 2006 erhielt Manorama den "Right Livelyhood Award", den Alternativen Nobelpreis. Auszeichnungswürdig fand die Jury "ihr jahrzehntelanges Engagement für die Gleichberechtigung von Dalit-Frauen". Dalits sind im indischen Kastenwesen die sogenannten "Unberührbaren", die über Tausende von Jahren von den Angehörigen der höheren Kasten diskriminiert wurden. Heute leben in Indien etwa 200 Millionen Dalits.

Stichwort Dalits

Die Dalits stehen in Indien am Ende der dort üblichen strikten Sozialhierarchie. Sie werden auch Unberührbare oder Paria genannt. Sie sind die Nachfahren der indischen Ureinwohner. Von ihnen leben rund 200 Millionen in Indien, das heißt, nahezu jeder fünfte Inder ist ein Dalit. Dalits leben am Rande der Gesellschaft, sind oft arm und werden häufig massiv diskriminiert, verfolgt und oft Opfer von gewaltsamen Übergriffen. Vor allem auf dem Land ist ihre Situation besonders beklagenswert.

Zusammen mit ihrem Ehemann und weiteren jungen Gleichgesinnten gründete Manorama Mitte der achtziger Jahre mit Unterstützung von "Brot für die Welt" die Organisation "Service Society", die vor allem die Verhältnisse in den städtischen Slums verbessern will. Deren Bewohner sind meist Dalits, die der Armut und Rechtlosigkeit in den Dörfern entkommen wollten und in die Städte geflohen sind. Doch auch dort ist das Leben hart, besonders für die Frauen. Sie müssen häufig ihre durch Armut und Frustration gewalttätig geworden Ehemänner ertragen, die sie regelmäßig schlagen. Mit ihrer Organisation möchte Manorama strukturelle Voraussetzungen schaffen, um die Situation der Frauen nachhaltig zu verbessern.

Ruth Manorama sitzt mit vierzig weiteren Frauen auf dem Boden des Gemeinschaftshauses. Es ist das wöchentliche Treffen der Ortsgruppe von "Women's Voice", einer Tochterorganisation der "Service Society". Zur Eröffnung haben die Frauen das Lied ihrer Bewegung gesungen: "Wir werden die Unterdrückung beenden. Unsere Hände sind nicht mehr gebunden. Wir werden unsere Rechte bekommen von den Männern und der Regierung."

Menschen, die Mut machen

Überall auf der Welt gibt es Menschen, die anderen helfen und in scheinbar ausweglosen Situationen Mut machen. Menschen, die oft selbst nichts besitzen, wegen ihres sozialen oder politischen Engagements bedroht werden und doch nicht aufgeben. Das Hilfswerk der evangelischen Kirche Deutschlands, "Brot für die Welt", unterstützt diese Menschen. Mit Spenden und mit praktischer Hilfe zur Selbsthilfe. So entstanden unzählige Projekte auf allen Kontinenten. In diesem Jahr feiert die Organisation den 50. Jahrestag ihrer Gründung. stern.de stellt in einer Kooperation mit "Brot für die Welt" 26 Menschen vor, die von der Hilfe aus Deutschland profitiert haben - und nun selber zu Helfern geworden sind: zu Menschen, die Mut machen.

Manoramas Organisation konnte die Lebensbedingungen in einigen Regionen bereits erheblich verbessern. In Hombegowda zum Beispiel müssen die 3500 Bewohner nicht mehr fürchten, von einem Tag zum anderen vertrieben zu werden. Der Boden, auf dem ihre Häuser stehen, gehört ihnen. Die meisten sind mittlerweile aus Ziegeln gemauert, jedes hat Strom und Wasser, die Gassen sind mit Beton befestigt, es gibt sogar eine Kanalisation. "Heute hilft uns die Mitgliedskarte von Women's Voice bei Behörden und der Polizei." Ohne dieses Dokument würden viele Beamte die Frauen und ihre Anzeigen schlicht ignorieren. Dank der Kleinkredite von "Service Society" konnten viele Bewohner ein kleines Gewerbe beginnen.

Was im Lokalen in 250 Basisgruppen in 80 Slums funktioniert, setzen "Women's Voice" und die Dachorganisation "Service Society" auf bundesstaatlicher Ebene fort. Die größte Demokratie der Welt funktioniert ganz einfach, meint Manorama: "Wenn in Indien 500 Leute etwas fordern, passiert nichts. Aber wenn sich hunderttausend Menschen für etwas stark machen, können die Mächtigen dies nicht mehr ignorieren."