Mordserie in chinesischen Kindergärten Täter wollen Rache an der Gesellschaft

Chinas Eltern haben Angst um ihre Kinder. In weniger als zwei Monaten sind bei sechs Gewaltakten in Kindergärten und Schulen 16 kleine Kinder getötet worden. Erst am Mittwoch hatte ein Mann sieben Kinder und zwei Erwachsene mit einem Hackmesser getötet.

Eine Serie von blutigen Angriffen auf Kinder lässt unter Chinas Eltern die Angst umgehen. In weniger als zwei Monaten sind bei sechs Gewaltakten in Kindergärten und Schulen 16 kleine Kinder und drei Erwachsene getötet worden. Mehr als 70 wurden verletzt. Die Sicherheitsmaßnahmen wurden verschärft. Mit Schlagstöcken und Tränengas bewaffnete Wachposten sichern Eingänge. Schulbusse bekommen Polizeibegleitung. Die Regierung hat eine strikte Nachrichtenkontrolle verhängt, die mit möglichen Nachahmungstätern begründet wird. Kritiker werfen ihr aber vor, auch wegen der Weltausstellung in Shanghai negative Nachrichten vertuschen und eine Debatte über die tiefer liegenden sozialen Ursachen der Gewalt verhindern zu wollen.

Die Serie der Bluttaten begann am 23. März, als ein früherer Arzt in einem Kindergarten in Nanping (Provinz Fujian) acht Kinder umbrachte. Der Täter beschrieb sich später beruflich und persönlich als gescheitert. Er habe "keinen Hass" auf die Kinder empfunden. "Ich habe sie nur ausgewählt, weil sie schwach und verletzlich waren", zitierten ihn chinesische Medien. "Ich habe getötet, um große Wirkung zu haben." Er wurde schnell zum Tode verurteilt. Doch noch am Tag seiner Hinrichtung am 28. April folgte ein ähnlicher blutiger Messerangriff in einem Kindergarten mit 16 Verletzten in Leizhou in Südchina, die nächsten zwei Tage ereigneten sich zwei weitere Überfälle.

"Diese Zwischenfälle haben tiefe gesellschaftliche und psychologische Ursachen", erklärte der Forscher Lin Chun vom Psychologischen Institut der Akademie der Wissenschaften in Peking der Nachrichtenagentur dpa. "Heute sind die sozialen Widersprüche sehr akut." Verwundbare Gruppen seien Verlierer der rasanten Reformen in China. "Einige sind sogar in eine Ecke getrieben." Da die Gesellschaft keine guten Schutzmechanismen besitze, "sehen diese Leute keine Hoffnung mehr". Insgesamt verbessere sich zwar die soziale Entwicklung in China, aber nicht für jeden schnell genug.

"Der eine kann eine Gelegenheit schnell ergreifen, der andere nicht - oder er verfällt sogar in Extreme", sagte der Forscher. Das sei abhängig von Persönlichkeit und Charakter. Schwierig werde es, "wenn jemand keine Freunde hat, nicht mit anderen kommunizieren und seine Gefühle ausdrücken kann - oder wenn sich niemand um ihn kümmert, es keine professionelle psychologische oder soziale Hilfe gibt". Die Probleme sammelten sich dann an. Die Menschen fänden vielleicht auch kein Ventil, um sich Luft zu machen, sagte Lin Chun. Wenn sie dann von solchen Taten hörten, könne das den Impuls geben, etwas Ähnliches tun zu wollen - "vielleicht um die Aufmerksamkeit der Gesellschaft auf sich zu ziehen oder sich an ihr zu rächen".

Während ein Einfluss der Berichterstattung auf die Gewaltserie nicht bestritten wird, nahmen Experten die Medien in Schutz. Schließlich hätten sie nur die Fakten berichtet. Einige Journalisten waren empört über den Maulkorb. "Die Morde sind verabscheuungswürdig. Aber die Leute sollten doch zumindest wissen, warum die Täter so brutal geworden sind", klagte ein Pekinger Journalist in einem Beitrag, der im Internet die Zensur unterlief. Wie hat es um die Wohnsituation, Arbeit, Krankenversicherung oder Bildung der Täter gestanden, fragt er. In Chinas Geschichte habe es immer soziale Unterschiede gegeben - "aber es hat niemals eine Zeit wie heute gegeben, wo die Menschen so unverfroren das Geld anbeten, offen auf untere Klassen herabschauen und nicht einmal versuchen, ihre Verachtung für die Armen zu verbergen".

Soziale Ungerechtigkeiten stecken auch für den populären Blogger Han Han hinter den Gewalttaten. "Unter den vielen Menschen, die Vergeltung an der Gesellschaft üben wollen, ist es Mode geworden, in Kindergärten und Schulen zu töten, weil der Mörder auf den geringsten Widerstand stößt, die größte Anzahl von Menschen töten und der Gesellschaft maximal Leid und Terror zufügen kann", schrieb Han Han. "In einer Gesellschaft, die keine Ventile hat, ist der Mord an den schwächsten Mitgliedern das einzige Ventil geworden." In seinem Beitrag, den die Zensur sofort löschte, schlug Han Han vor, die vielen Soldaten, die heute Behörden bewachten, an die Kindergärten zu beordern: "Eine Regierung, die nicht einmal die Kinder schützen kann, braucht nicht so viele Leute, um sich selber zu schützen."

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Andreas Landwehr, DPA