Nahost-Konflikt Personenkult und Opferbereitschaft

In libanesischen Medien und Flüchtlingslagern rufen Kinder und Frauen mit Inbrunst die Parolen der Hisbollah. Das hat viele Gründe. Einer davon: Niemand will als Verräter gelten.

Wer in diesen Tagen Al-Manar, den Fernsehsender der libanesischen Hisbollah, einschaltet, hört dort neben Säbelrasseln und patriotischer Musik immer wieder auch Frauen, die der Partei, ihrer Miliz und Parteichef Hassan Nasrallah ewige Treue schwören. "Ich habe vier Söhne, und ich bin bereit, sie alle Scheich Hassan Nasrallah zu geben, damit sie im Kampf gegen Israel zu Märtyrern werden", sagt eine von ihnen. Und auch in den Notunterkünften der Vertriebenen aus dem schiitischen Süden des Landes findet man viele Mütter, Halbwüchsige und sogar Kinder, die mit Inbrunst die Parolen der Hisbollah und ihre anti-israelischen Slogans aufsagen.

Wieder hergestellte Ehre

Die Gründe für diese Treue bis in den Tod, die für Außenstehende oft kaum zu begreifen ist, sind vielschichtig. Zum Einen ist die Hisbollah eben nicht nur eine Miliz, sondern auch eine politische Partei, die in den vergangenen zwei Jahrzehnten ein funktionierendes Netz von sozialen Diensten aufgebaut hat. Außerdem ist die schiitische Hisbollah seit dem Abzug der israelischen Armee aus dem Südlibanon im Jahr 2000 auch für viele sunnitische Araber eine Organisation, die nach den Kriegen gegen Israel, in denen die arabischen Armeen versagt hatten, "die Ehre der Araber wieder hergestellt hat".

Denn aus arabischer Sicht entschlossen sich die Israelis damals alleine wegen des Widerstandes der Hisbollah-Kämpfer zum Abzug. Nicht unterschätzen sollte man auch die Wirkung, die der brillante Rhetoriker Nasrallah gerade auf die einfachen Leute hat. Der Personenkult um den "Scheich" ähnelt dem, was in der Region sonst für Staatsoberhäupter veranstaltet wird. Nasrallah-Poster hängen in den Schiiten-Vierteln an Laternenmasten, hinter der Windschutzscheibe und in der Vitrine von Friseursalons.

Niemand will als Verräter dastehen

Auch ein Teil der Sunniten, Drusen und Christen im Libanon ist zufrieden, dass die Hisbollah der technologisch überlegenen israelischen Armee bei ihrem bisher eher langsamen Vormarsch im Süden schmerzhafte Verluste beibringt. Kritik an der Hisbollah und ihrem Generalsekretär Nasrallah offen zu äußern, ist jetzt besonders bei den Schiiten ein Tabu. Und selbst diejenigen, die im Grunde für die Partei sind, aber für den Kampf gegen Israel trotzdem nicht ihr Leben, ihre Söhne und ihr Haus opfern wollen, halten sich bedeckt. Denn mehrere Dutzend angebliche "Spione" wurden schon einkassiert. Keiner will sich verdächtig machen oder vor seinen Nachbarn als "Verräter" dastehen. Denn das "Märtyrertum" hat gerade bei den Schiiten, deren religiöse Vorbilder alle niedergemetzelt wurden, einen hohen Stellenwert.

Wie viele junge Schiiten sich den Kämpfern Nasrallahs angeschlossen haben, kann man erahnen, wenn man die libanesischen Notunterkünfte besucht, in denen die vor den Bomben geflohenen Familien aus dem Süden und aus den Schiiten-Vororten von Beirut Unterschlupf gefunden haben. Männer im Alter zwischen 18 und 40 Jahren sieht man hier kaum. Das ist auch unter den 750 Vertriebenen, die in der Marun-Abud-Oberschule in Alej oberhalb von Beirut Unterschlupf gefunden haben, nicht anders.

"Jeder hat seine Meinung"

Hier steht Nadschi Chalil (42) an diesem schwülen Sommernachmittag mit ihren zwei jüngsten Töchtern an, weil Brot verteilt wird. Die schmale Frau mit dem einfachen Kittel und dem Kopftuch, das von einer verbogenen Sicherheitsnadel zusammengehalten wird, war aus ihrem Haus in Sreife bei Tyros geflohen, nachdem die ersten Bomben das Dorf getroffen hatten. Sie ahnte schon, dass ihr Haus, das heute nach Angaben von Nachbarn zur Hälfte zerstört ist, nicht unbeschadet bleiben würde. Denn 200 Meter weiter hatte die Hisbollah ein so genanntes Zentrum. Als sie gefragt wird, ob sie auch bereit wäre, ihren einzigen Sohn an die Front zu schicken, antwortet Chalil nur mit fester Stimme: "Jeder hat seine Meinung. Gott schütze alle unseren jungen Männer."

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Anne-Beatrice Clasmann/DPA