Die schlechte Nachricht zuerst: Tausende Franzosen kennen immer noch nicht den Unterschied zwischen israelisch und jüdisch, zwischen Menschen und Politik. Oder wollen ihn nicht kennen. Die gute Nachricht ist: Anne Hidalgo, Bürgermeisterin von Paris, hat sich von ihnen nicht einschüchtern lassen.
Für alle Pariser, die in den großen Ferien zuhause bleiben müssen, und natürlich für alle Touristen, hat Paris jedes Jahr ein ganz besonderes Sommervergnügen zu bieten: Der Strand wird in die Stadt geholt: Paris plages.
Tonnenweise wird feiner Sand am rechten Ufer der Seine, entlang dem Voie Georges Pompidou, und vor dem Hôtel de Ville aufgeschüttet. Es gibt Palmen, Liegestühle, Beachvolleyball, erfrischenden Sprühregen, Eiskrem und Kinderspiele. Ein Tag der einen Monat währenden Sommerfrische ist einer Partnerstadt oder einem Partnerland gewidmet: Brasilien, Französisch-Polynesien, Athen waren schon dabei. In diesem Jahr ist es die israelische Küstenstadt Tel Aviv, und am Donnerstag war "Tel Aviv sur Seine" angesagt - mit Musik, Speis und Trank, Matkot und wilder Party. Eine gute, schöne Sache sollte man meinen? Tausende Franzosen sahen das anders. Hidalgo wurde heftig attackiert.
Das Einfachste von der Welt
Linke, Kommunisten, Grüne und verschiedene antiisraelische Organisationen forderten die Bürgermeisterin auf, "Tel Aviv sur Seine" abzusagen. Aus Solidarität mit den Palästinensern. Es wurde an den Gaza-Krieg im vergangenen Sommer erinnert. "Tel Aviv ist nicht die Copacobana", sagte Stadträtin Danielle Simonnet von der Linken-Partei (Parti de Gauche). Die Pariser Bürgermeisterin mache damit Werbung für den Apartheidstaat, der Israel sei, so das Anti-Argument. Eine Online-Petition gegen Tel Aviv sur Seine hat knapp 25.000 Unterzeichner gefunden.
Doch Hidalgo blieb unbeeindruckt und erklärte geduldig in der Zeitung "Le Monde" das Einfachste von der Welt: Dass man die Menschen in Tel Aviv und die Politik der Regierung Netanjahu nicht in einen Topf werfen dürfe. Tel Aviv sei die weltoffene, tolerante Stadt der Opposition, wo Tausende Menschen nach dem Mordanschlag auf eine palästinensische Familie durch jüdische Terroristen Ende Juli auf die Straße gegangen sind, um ihre Trauer und Empörung zu zeigen. Wo jedes Jahr die Gay Parade gefeiert wird. Diesen Esprit gelte es zu unterstützen, weshalb Hidalgo alle Pariser um so dringender um ihr Kommen bat. Außerdem kamen 500 Polizisten, um die Veranstaltung zu schützen.
Menschen, nicht Politiker
Dass "Tel Aviv sur Seine" am Donnerstag stattgefunden hat, war zudem ein wichtiges Zeichen für die jüdische Gemeinschaft Frankreichs – mit rund 500.000 Menschen die größte in Europa. Nach den Brandanschlägen auf jüdische Geschäfte im Pariser Vorort Sarcelles im vergangenen Sommer, den Mordanschlägen in Paris im Januar im Zusammenhang mit dem Angriff auf die Satirezeitschrift "Charlie Hebdo" und zahlreichen weiteren Überfällen auf Juden, nur weil sie Juden sind, war es nötig zu zeigen, dass man sich nicht auf die Argumentationen einlässt, die allzu schnell von der Kritik an Israels Politik in blanken Judenhass kippen. Dazu muss man nur die Studie "Antisemitismus in der öffentlichen Meinung Frankreichs" des rennomierten Think Tanks Fondapol betrachten. Demnach sind sich Rechtsextreme, Muslime und Linksextreme in ihren jüdischen Vorurteilen erschreckend einig.
Am Ende eine Klarstellung vom ehemaligen Sex-Pistols-Sänger Johnny Rotten, der die Sache 2010 auf den Punkt brachte: Weil er in Tel Aviv auftreten wollte, wurde er entschieden angegangen und zum Boykott aufgefordert. In einer Konferenz stellte Rotten daraufhin klar, dass er nicht für Politiker singe, sondern für Menschen.