Präsidentenwahl in der Türkei Abdullah Gül hat's geschafft

Es hat erhebliche Widerstände gegeben. Wütende Demonstrationen, Drohgebärden der Militärs, Neuwahlen, wieder Demonstrationen - und zwei Wahlgänge. Nun aber hat Abdullah Gül, der vermeintliche Fundamentalist der Regierungspartei AKP, es geschafft: Er ist Staatspräsident der Türkei.

Es war keine Überraschung mehr. Erwartungsgemäß hat das türkische Parlament Außenminister Abdullah Gül im dritten Wahlgang zum neuen Präsidenten gewählt. Der wegen seiner islamistischen Vergangenheit umstrittene Politiker von der religiös-konservativen Regierungspartei AKP erzielte die für den dritten Durchgang nur noch erforderliche absolute Mehrheit, wie ein AKP-Abgeordneter mitteilte. In den ersten beiden Wahlgängen hatte Gül die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit verfehlt. Mit dem 56-Jährigen wird erstmals ein früherer Islamist Präsident der Türkei, die sich seit den Tagen von Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk als laizistisches Gemeinwesen versteht.

Der türkische Präsident

Der türkische Staatspräsident hat überwiegend repräsentative Aufgaben. In Krisenzeiten kann er jedoch das Gesetzgebungsverfahren vorübergehend blockieren. Der Präsident wird seit 1989 vom Parlament für sieben Jahre gewählt, eine zweite Amtszeit ist nicht möglich. In den ersten beiden Wahlgängen ist eine Zweidrittelmehrheit erforderlich, im dritten reicht die absolute Mehrheit. Der Staatspräsident ernennt den Ministerpräsidenten, wobei er vorgeschlagene Kandidaten ablehnen kann. In Absprache mit der Regierung kann der Präsident den Notstand oder das Kriegsrecht erlassen und dann per Dekret regieren. Er ernennt hohe Justizangehörige, die Spitzen der Zentralbank und des staatlichen Rundfunks sowie die Universitätspräsidenten. Legt der Präsident ein Veto gegen ein vom Parlament verabschiedetes Gesetz ein, muss sich die Volksvertretung erneut damit befassen.

Machtkampf zwischen Militär und AKP

In der säkularen Türkei tobt eine Auseinandersetzung zwischen jenen, die sich als Siegelbewahrer von Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk begreifen, und den Anhängern der Regierungspartei AKP, der von Kritikern vorgeworfen wird, eine schleichende Islamisierung anzustreben. Das weltliche Establishment wirft Gül, dessen Frau das öffentlich verpönte Kopftuch trägt, vor, die Galionsfigur dieser Islamisierung zu sein. Generalstabschef Yasar Büyükanit warnte am Montag vor einer Aushöhlung der säkularen Grundlagen des Landes. Beobachter werteten Büyükanits Äußerungen als Hinweis, dass die Streitkräfte einem Ende der Trennung von Staat und Religion nicht tatenlos zusehen würden. Pikant ist nun, dass Gül als Präsident Oberbefehlshaber der Armee ist.

Verfassungsgericht stoppte ersten Anlauf

Ein erster Anlauf Güls auf das Präsidentenamt war im Frühjahr am Verfassungsgericht gescheitert. Die Folge waren eine Staatskrise und vorgezogene Wahlen, aus denen die AKP von Ministerpräsident Tayyip Erdogan gestärkt hervorging. Gül ist promovierter Volkswirt und gilt als Architekt des angestrebten EU-Beitritts seines Landes. Die AKP hat er mitbegründet, zuvor war er Funktionär in ihren islamischen Vorgängerparteien. Gül ist ein enger Gefolgsmann von Ministerpräsident Erdogan, dem er zeitweise sogar als Platzhalter diente. Weil Erdogan in Folge einer Verurteilung wegen Volksverhetzung bei der Parlamentswahl 2002 nicht kandidieren durfte, übernahm Gül für den AKP-Vorsitzenden das Amt des Regierungschefs. Nach Aufhebung des Politikverbots für Erdogan machte Gül im Jahr darauf bereitwillig Platz.

Gül war Wirtschaftsprofessor an der Marmara-Universität in Istanbul und spricht dank Studienaufenthalten in Exeter und London fließend Englisch. Misstrauen und Kritik entzündeten sich aber nicht zuletzt an der Tatsache, dass seine Frau eine Verfechterin des islamischen Kopftuchs ist. Sie klagte bis vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte dagegen, dass das symbolhafte Kleidungsstück nicht an den staatlichen Universitäten getragen werden darf.