Das Geiseldrama in der saudiarabischen Ölstadt El Chobar macht deutlich, dass die Anti-Terror-Strategie des Königshauses nicht greift. Weder die zahlreichen Razzien der vergangenen Monate noch die Festnahme extremistischer Geistlicher konnten den El-Kaida-Sumpf im Islamischen Königreich austrocknen. Im Gegenteil: Die Anschläge, die sich gegen jegliche westliche Präsenz und gegen den staatlichen Sicherheitsapparat richten, haben seit Anfang des Jahres sogar zugenommen. Nach Einschätzung westlicher Beobachter in Saudi-Arabien liegt das auch daran, dass die Prinzen nicht konsequent gegen die Kultur der religiösen Intoleranz vorgehen, aus der diese blutrünstige Variante des politischen Islam hervorgegangen ist.
Die bittere Ernte der anti-westlichen Propaganda
Zwar wurden im Fernsehen Religionsgelehrte vorgeführt, die nach einer Zeit der "Läuterung" im Gefängnis plötzlich erklärten, sie hätten sich leider geirrt, die Ermordung saudiarabischer Polizisten sei wohl doch nicht von Gott gewollt. Doch letztlich fahren die saudischen Herrscher nach Ansicht arabischer Terrorexperten jetzt die bittere Ernte ihrer eigenen anti-westlichen Propaganda ein. Dieses über die staatlichen Schulen und das mit dem Königshaus verbandelte Establishment der Religionsgelehrten jahrzehntelang verbreitete Bild vom dekadenten Westen mit seinen "Ungläubigen" lässt sich nun nicht mit einem Handstreich wegwischen. Neben einer militärischen Anti- Terror-Strategie sei es auch notwendig, mit dem Rotstift durch die Lehrbücher zu gehen, meint der saudiarabische Politikwissenschaftler Abdullah el Otaibi.
In den Augen der Reformer reicht es eben nicht aus, dass der Kronprinz Abdullah Ibn Abdelasis wie nach jedem Anschlag reflexartig Drohungen ausstößt: "Diese korrupte und (vom rechten Weg des Islam) abgewichene Gruppierung muss ausgerottet werden." Gleichzeitig droht er auch den schweigenden Sympathisanten der Terroristen, deren passive Komplizenschaft es für die Sicherheitskräfte fast unmöglich macht, den Extremisten beizukommen: "Diejenigen, die schweigen über (die Taten der) Terroristen, werden als Mittäter angesehen werden".
Während sich viele westliche Ausländer nach den Anschlägen auf zwei Ausländer-Wohnsiedlungen im vergangenen Jahr noch mit Sprüchen wie "ein Spaziergang in New York ist gefährlicher als ein Jahr Saudi- Arabien" gegenseitig Mut machten, ist die Stimmung doch inzwischen auf einem neuen Tiefpunkt angelangt.
Kommt der Exodus der Experten?
"Das große Kofferpacken hat zwar noch nicht eingesetzt, aber die Stimmung ist trübe", meint ein Deutscher in Riad, "viele überlegen sich, ob sie ihren Arbeitsvertrag hier wirklich noch einmal verlängern sollen". Berichte von europäischen Augenzeugen aus El Chobar, die sich im Schrank versteckten, während die Terroristen mordend durch die Siedlung zogen, werden diesen Überlegungen sicher neue Nahrung geben, auch wenn es immer noch keinen Massenexodus gibt. Eine beschleunigte Abwanderung ausländischer Fachkräfte aber würde die saudiarabische Wirtschaft hart treffen.
Viele liberale Saudis kritisieren schon seit den ersten großen Anschlägen auf ausländische Zivilisten vor einem Jahr das aus ihrer Sicht zu wenig radikale Vorgehen der Führung. Diese will das Terror- Problem vor allem mit einer Aufrüstung der Sicherheitskräfte bekämpfen und sich scheut, den zündelnden Religionsgelehrten, die mit dem Herrscherhaus durch einen ungeschriebenen Pakt verbunden sind, Stück für Stück mehr Macht zu entziehen. Dies würde nach Einschätzung ausländischer Beobachter erst dann geschehen, wenn die Terroristen auch die letzte rote Linie überschreiten und einen Angehörigen der Herrscherfamilie von König Fahd, der offiziell den Titel "Hüter der Heiligen Stätten (von Mekka und Medina)" trägt, angreifen würden.
Von Anne-Beatrice Clasmann/DPA