Terrorprozess Madrid Angeklagten drohen 38.000 Jahre Haft

Im Prozess um die Anschläge auf Pendlerzüge in Madrid am 11. März 2004 wird nun das Urteil erwartet. Den sechs Hauptangeklagten wird der Mord an 191 Menschen vorgeworfen. Den Beschuldigten drohen dafür 38.000 Jahre Haft.

Dreieinhalb Jahre nach den Terroranschlägen auf vier Madrider Pendlerzüge werden im "Jahrhundertprozess" gegen die mutmaßlichen Bombenleger und deren Helfer die Urteile gesprochen. Der Nationale Gerichtshof Spaniens wird an diesem Mittwoch voraussichtlich lange Haftstrafen für die meisten der 28 Angeklagten verhängen. Die Anschläge gelten als die verheerendsten in der spanischen Geschichte. 191 Menschen wurden getötet und über 1800 weitere verletzt.

Die Staatsanwaltschaft hatte in einem der größten Terroristenprozesse der europäischen Justizgeschichte für die mutmaßlichen Drahtzieher und die Bombenleger jeweils fast 40.000 Jahre Haft gefordert. Beobachter gingen davon aus, dass die Richter einen Großteil der Angeklagten schuldig sprechen werden. Dies zeige sich daran, dass das Gericht von den 19 in Untersuchungshaft sitzenden Angeklagten in letzter Zeit nur einen freigelassen habe.

Die Anschläge vom 11. März 2004 wurden nach Ansicht der Anklagebehörde von einer islamistischen Terrorzelle verübt, die sich von El Kaida inspirieren ließ, aber nicht direkt dem internationalen Netz angehörte. Die Terroristen hatten zur morgendlichen Hauptverkehrszeit per Mobiltelefon zehn Bomben in den Waggons von vier Vorortzügen gezündet. Drei Wochen später kamen die Fahnder den vermutlich wichtigsten Terroristen der Gruppe auf die Spur. Die sieben Verdächtigen sprengten sich in einer Wohnung in der Madrider Vorstadt Leganés in die Luft, als sie von der Polizei umstellt waren.

Acht Haupttäter, 20 Helfer

Von den 28 verbliebenen Angeklagten stammen 14 aus Marokko, neun aus Spanien, zwei aus Syrien und je einer aus Ägypten, Algerien und dem Libanon. Acht von ihnen gelten nach der Anklageschrift als Haupttäter. Sie sollen die Anschläge geplant, den Sprengstoff beschafft und die Bomben gelegt haben. Die mutmaßlichen Anführer der Gruppe waren der Ägypter Rabei Osman el Sayed sowie die Marokkaner Hassan el Haski und Youssef Belhadj. Der Spanier José Emilio Suàrez Trashorras sowie die Marokkaner Rafa Zouhier und Otman el Gnaoui sollen laut Anklage den Sprengstoff beschafft und die Marokkaner Jamal Zougam und Abdelmajid Bouchar Bomben in den Zügen deponiert haben.

Für diese acht Angeklagten forderte die Staatsanwaltschaft jeweils fast 40 .00 Jahre Haft. Das verlangte Strafmaß kam dadurch zustande, dass sie bei den Anschlägen jede Tötung als Mord und jeden Verletzten als Opfer eines Mordversuches wertete. Die Angeklagten werden bei einer Verurteilung höchstens 40 Jahre inhaftiert. Für die übrigen Beschuldigten forderte die Staatsanwaltschaft vier bis 27 Jahre Haft.

Angeklagten bestreiten die Tat

Die Angeklagten, die den Prozess in einem Käfig aus kugelsicherem Glas verfolgt hatten, bestritten die Vorwürfe. "Ich bin ein normaler Muslim und lehne Gewalt ab", versicherte El Sayed, genannt "der Ägypter". Er wird die Urteilsverkündung über eine Videokonferenz verfolgen, da er eine Haftstrafe in Italien verbüßt.

Nach den Anschlägen hatten die Ermittler binnen weniger Wochen das Netz der mutmaßlichen Terroristen aufgedeckt und zerschlagen. Der Prozess brachte aber auch schwere Versäumnisse der spanischen Sicherheitskräfte an den Tag: Die Gefahr des islamistischen Terrors war trotz zahlreicher Warnungen offensichtlich völlig unterschätzt worden; Hinweise von Polizeispitzeln auf das Terrornetz wurden nicht ernst genommen und Sprengstoffdepots in Bergwerken nicht bewacht; Polizei, Zivilgarde und Geheimdienste arbeiteten aneinander vorbei; eine der wichtigsten Figuren der Terrorgruppe befand sich aufgrund eines Justizirrtums auf freiem Fuß.

Strikte Geheimhaltung vor dem Urteil

Text und Begründung der Urteile sind über 600 Seiten lang. Der Inhalt wurde bis zuletzt streng geheimgehalten. Der Vorsitzende Richter Javier Gómez Bermúdez sorgte dafür, dass nichts an die Öffentlichkeit durchsickerte. Nicht einmal der Gerichtspräsident wurde vorab in Kenntnis gesetzt. Die Polizei verstärkte für den Tag der Urteilsverkündung die Sicherheitsvorkehrungen, um mögliche Terroranschläge zu verhindern.

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Hubert Kahl/DPA