Als die junge Frau am Morgen im Atocha-Bahnhof im Herzen Madrids aussteigt und die vielen Kerzen und weißen Nelken sieht, bricht sie weinend zusammen. "Auf einmal kam alles wieder hoch, das war einfach zu viel", sagt sie später, immer noch unter Schock. Am 11. März vor einem Jahr war derselbe Bahnsteig mit Toten und Verletzten übersät: Im Atocha-Bahnhof war an jenem Donnerstag um 07.37 Uhr die erste von zehn Bomben explodiert, die islamistische Terroristen in vier Madrider Vorortzügen gezündet hatten. 191 Menschen starben, mehr als 1500 wurden verletzt. Noch heute leiden 60 000 Hauptstädter als Folge der Attentate an Depressionen.
An der Erinnerung an das schlimmste Blutbad in Madrid seit dem Spanischen Bürgerkrieg (1936-1939) kam am Freitag niemand vorbei. Um 07.37 Uhr läuteten fünf Minuten lang die Glocken aller Kirchen der spanischen Hauptstadt. Der Verband der Opfer des 11. März hatte vergeblich versucht, dies zu unterbinden. "Wir brauchen keine Glocken, um uns an die Tragödie zu erinnern. Wir wissen genau, wann es passierte, denn wir denken jeden Tag an unsere Lieben", hatte eine Sprecherin erklärt.
Dutzende Menschen legten Blumen vor den Bahnhof
So wie Elvira, die vom Fenster ihrer Wohnung aus die Stelle sehen kann, wo vor einem Jahr ihre Tochter in den Tod gerissen wurde. Die Studentin war erst 19 Jahre alt. "Ich bin heute zum Bahnhof gegangen und habe mich mit einer Kerze und dem Buch, das sie damals las, auf eine Bank gesetzt", erzählt sie. "Als ich mich ausgeweint hatte und wieder bei Kräften war, bin ich wieder nach Hause gegangen." Auf dem Weg konnte sie sehen, wie Dutzende Menschen in Erinnerung an die Opfer Kerzen anzündeten, Blumen niederlegten oder Botschaften an die Bahnhofswände klebten. "Wir werden Euch nie vergessen", war auf einigen Zetteln zu lesen. Viele Menschen weinten.
Ganz in der Nähe des Atocha-Bahnhofes, im Retiro-Park, fand die offizielle Gedenkfeier statt. In einer nüchternen Zeremonie weihten König Juan Carlos und Königin Sofía den "Wald der Abwesenden" ein. Zypressen und Olivenbäume erinnern dort an jedes einzelne Opfer. Die Angehörigen der Getöteten blieben der Veranstaltung fern. Ihr Wille, dass keine Reden gehalten werden sollten, wurde aber respektiert. Bürgermeister Alberto Ruiz Gallardón sinnierte derweil über die Folgen der Anschläge für Madrid. "Die bitterste Erkenntnis ist vielleicht, dass wir verwundbar sind", sagte er. "Aber das Leben muss weitergehen."