Es dauerte 27 Minuten, bis den chinesischen Zensoren die Worte des amerikanischen Präsidenten auffielen. Barack Obama sprach im Shanghaier Museum für Wissenschaft und Technologie. Er sagte: "Dass wir in den Vereinigten Staaten einen unreglementierten Zugang zum Internet haben, ist eine Quelle unsere Kraft. Und ich glaube, das sollte unterstützt werden."
Der Autor
Janis Vougioukas lebt seit Sommer 2002 als freier Autor in Shanghai. Die faszinierendsten Menschen, die er während seiner Recherchen für zahlreiche Zeitungen und Magazine traf, porträtiert er in einem Buch, aus dem stern.de Auszüge veröffentlicht.
Kaum Sendeplatz für Obama
Es war der mutigste Satz, den der amerikanische Präsident bei seiner Rede vor handverlesenen chinesischen Studenten in den Mund nahm. Doch die Kritik an der chinesischen Internetzensur war gut versteckt zwischen langatmigen Höflichkeitsfloskeln und Belanglosigkeiten. So standen Obamas Worte fast eine halbe Stunde auf der Startseite des Nachrichtenportals NetEase, bis sie von der Internetpolizei wieder gelöscht wurden.
Es ist Obamas erste Reise nach China. Und sie begann gleich am ersten Tag mit einem Höhepunkt - der Diskussion mit chinesischen Studenten. Doch es kam ganz anders. Die Rede war Obamas Versuch, direkt zu den Chinesen zu sprechen - und nicht einmal das funktionierte. Die 300 Studenten waren vorsichtig ausgewählt worden, offenbar hatten sie ihren Auftritt genau geprobt. Obamas Gesandte verhandelten bis zum Tag seiner Abreise mit der chinesischen Regierung über einen Sendeplatz im staatlichen Fernsehen. Am Ende übertrug nur ein Sender aus Shanghai die Debatte. Und im chinesischen Internet gibt es schon lange keinen freien Meinungsaustausch mehr.
Obama scheitert mit Charmeoffensive
Am Ende war auch die Rede des amerikanischen Präsidenten schwach. Er hatte auf kritische Fragen gehofft. Er wollte eine ernsthafte Diskussion und er wollte sie mit Witz und Argumenten gewinnen. Stattdessen lernte Obama, dass die Chinesen auch Kleinigkeiten ziemlich ernst nehmen und mit westlichem Witz und Charme nicht viel anfangen können.
Obamas sonderbarer Auftritt in Shanghai zeigt auch, wie weit China und die USA immer noch von einander entfernt sind. Obwohl amerikanische Diplomaten inzwischen von einer "umfassenden Partnerschaft" beider Länder sprechen - eine G2 aus den zwei mächtigsten Ländern der Welt gibt es noch lange nicht.
Obamas Themenliste ist lang. Er will die Pekinger Führung dazu bringen, die Landeswährung Renminbi aufzuwerten. Er will Chinas Zusammenarbeit beim Klimaschutz und eine gemeinsame Lösung der Nordkorea-Frage. Doch es ist unwahrscheinlich, dass der US-Präsident mit konkreten Ergebnissen nach Hause fahren wird. Denn obwohl die Volkswirtschaften der Volksrepublik und der USA heute enger miteinander verwachsen sind als je zuvor - in der Politik haben sich beide Großmächte noch nicht einander angenähert.