US-Präsidentschaftswahl "Genervt von Biden": Die Demokraten stecken in der Krise und verlieren den Glauben an ihren Präsidenten

Biden in Wisconsin
Joe Biden in Milwaukee, Wisconsin, wo früher einmal die Basis seiner Partei war
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Bald beginnt der Irrsinn namens US-Präsidentschaftswahlkampf – und die Umfragen für den Amtsinhaber und seine Partei sind ein Desaster. Dabei sollte das Hauptproblem eigentlich die Hauptattraktion sein: Präsident Joe Biden.

Genervte Wähler, überforderte Funktionäre und ständig dieses Gerede über sein Alter: "Jedes Mal, wenn Demokraten im Fernsehen auftauchen und sagen, der Präsident mache einen guten Job, aber er sei 80 Jahre alt, nähren sie damit das Verlangen nach einem alternativen Kandidaten", meckert Emanuel Cleaver, ein Abgeordneter aus Kansas City. Sein demokratischer Parteifreund Ben Wikler aus Wisconsin wähnt die Partei sogar in einer "existenziellen Krise". Ausgerechnet in Wisconsin, wo die Arbeiterschaft einst das stählerne Rückgrat der Demokraten war.

Zwei alte weiße Männer ringen um den Platz im Weißen Haus

Doch alte Gewissheiten gelten nicht mehr in den USA. Sicher ist nur, dass der Irrsinn namens US-Präsidentschaftswahlkampf bald wieder Fahrt aufnimmt. Los geht es Mitte Januar mit den ersten Vorwahlen, elf Monate später, also in knapp einem Jahr, sollten dann auch die letzten, engsten Rennen ausgezählt sein. Und eng wird es sicher werden. Zumindest wenn es, wie schon 2020, zum Duell Joe Biden gegen Donald Trump kommen wird – wonach es derzeit aussieht.

Die kommende Abstimmung wird beispiellos werden: Noch nie sind zwei Männer in derart fortgeschrittenem Alter gegeneinander angetreten (Joe Biden ist 81, Donald Trump wird 78). Noch nie musste sich ein Kandidat vor und während des Wahlkampfs vor Gericht verantworten, auch noch mehrfach (Donald Trump). Und noch nie waren die beiden Bewerber, ein amtierender und ein abgewählter US-Präsident, derart unbeliebt.

Stand jetzt wird die Wahl besonders für die Demokraten bitter enden: Laut aktuellen Umfragen würden sie sowohl das Weiße Haus als auch den Senat und das Repräsentantenhaus an die Republikaner verlieren. Der neue wie alte Präsident hieße dann Donald Trump und könnte mit Hilfe seiner Mehrheit in den beiden Parlamentskammern durchregieren. Für den Fall hat er bereits Rachefeldzüge gegen seine Gegner angekündigt. Wie "Ungeziefer" werde er sie "ausrotten", kündigte Trump unlängst an. Joe Biden zählt er dazu.

Noch ist das nur eines von vielen Szenarien, die nach dem Abstimmungstag am 5. November 2024 denkbar sind – aber alles andere als unwahrscheinlich. Sollte dieser Albtraum für das Mitte-Links-Amerika wahr werden, könnten die Hauptverantwortlichen ausgerechnet aus den Reihen der Demokraten stammen: Joe Manchin, Senator aus West Virginia und Joe Biden, Chef im Weißen Haus.

Manchin, ein notorischer Quertreiber, hatte jüngst angekündigt, nicht wieder als Senator zu kandidieren. Eigentlich war das eine gute Nachricht für die Partei, denn der 76-jährige hatte mit seinem Einer-gegen-alle-Kurs ein ums andere Mal die Vorhaben der eigenen Regierung torpediert. An Joe Biden lässt er auch kein gutes Haar: Der sei nach links abgedriftet, sogar "in die extrem linke Ecke", sagte Manchin als Abschiedsgruß. 

Manchins Herz schlägt, wie auch das seiner Heimat West-Virginia, konservativ. Sein Nachfolger im Senat dürfte deshalb ein Republikaner werden. Dann wäre die jetzt schon ultraknappe Demokraten-Mehrheit von nur einer Stimme weg. 

Das Hauptproblem für die Demokraten aber sollte eigentlich die Hauptattraktion sein: Präsident Biden. Vor wenigen Tagen schockte eine Umfrage der "New York Times" das Weiße Haus. Demnach würde Biden in den fünf der sechs wahlentscheidenden Bundesstaaten gegen Donald Trump verlieren: Arizona, Georgia, Michigan, Nevada and Pennsylvania. Der Vorsprung des ehemaligen gegenüber dem amtierenden Staatsoberhaupt ist zwar knapp und innerhalb der üblichen Fehlermarge, aber das Verblassen von Biden ist schon länger spürbar, sogar innerhalb seiner eigenen Partei.

Obama-Berater zweifelt an Biden-Erfolg

Nachdem die desaströsen Zahlen in der Welt waren, meldete sich David Axelrod zu Wort, Ex-Berater von Barack Obama. Er zählte Joe Biden öffentlich an: Dessen Entschluss, wieder für das Präsidentenamt zu kandidieren, werde Zweifel in der Partei auslösen, schrieb er im Onlinedienst X (vormals Twitter). Biden, der an seinem 81. Geburtstag zu Wochenbeginn noch über sein Alter gescherzt hatte, nannte Axelrod daraufhin hinter verschlossenen Türen einen "Scheißkerl". Dem war das egal: Soll er doch, sagte Axelrod der "New York Times". Das Team täusche sich, wenn es glaube, dass Donald Trump sich selbst schlagen werde. "Bidens Gewinnchancen liegen bei fifty-fifty, eher weniger", so der Demokrat unbeirrt.

Schätzungen zufolge wird der kommende Präsidentschaftswahlkampf bis zu zehn Milliarden Dollar verschlingen. Eine Riesenstange Geld, die wegen des US-Wahlsystems aber nur in den Swing-States ausgegeben wird. Für die Demokraten zum Beispiel sind Bundesstaaten wie Kalifornien oder New York eine sichere Bank, der Wahlkampf dort fast überflüssig. Im Gegensatz zu Georgia oder Michigan, wo sich beide Parteien ein Kopf-an-Kopf-Rennen liefern. Dort fließen Millionen hin, dort werden die Wahlen entschieden.

Die fünf Swing-States, die aktuell Richtung Trump tendieren, fokussieren wie Brenngläser die großen Probleme des Kandidaten Joe Biden. Das größte ist sein Alter, dazu kommen aber noch die vielen kleinen und großen Krisen, die nicht nur in den USA an den Menschen nagen. 

82 Jahre alt wird Joe Biden zwei Wochen nach der Präsidentschaftswahl 2024, am Ende einer zweiten Amtszeit wäre er 86. Schon jetzt wirkt der Demokrat oft tattrig und verwirrt. Es heißt, seine Berater würden ihm empfehlen, in der Öffentlichkeit kurze Wege zu gehen und dabei Turnschuhe zu tragen, damit er nicht riskiert, hinzufallen – wie das zuletzt häufiger passiert ist. 

"Ich feiere Präsident Biden, aber ..."

Drei Viertel aller US-Bürger trauen ihm wegen solcher Zwischenfälle einen weiteren Durchgang im Weißen Haus nicht mehr zu. Auch viele seiner Parteifreunde nicht. Der Abgeordnete Dean Phillips aus Minnesota etwa sagte jetzt: "Ich feiere Präsident Biden, aber ich bin enttäuscht, dass er die Fackel nicht weitergibt." Im letzten Wahlkampf hatte er zumindest angedeutet, das Amt irgendwann an seine Vizepräsidentin Kamala Harris zu übergeben. Doch sie agierte eher unglücklich und er fühlte sich zunehmend unersetzbar. 

Selbst die wirtschaftlichen Erfolge der Biden-Regierung zünden nicht immer: "Die stoßen hier auf taube Ohren", sagt der Demokraten-Wähler David Martinez aus dem hart umkämpften Arizona. "Die Leute hier sind so genervt von Biden, der Inflation und seinem Alter, dass sie entweder Trump eine zweite Chance geben wollen oder die Wahl ganz schwänzen", so der IT-Spezialist in der "New York Times".

Maya Siegmann, Studentin und Aktivistin aus der früheren Demokraten-Hochburg Michigan, formuliert ihr Unbehagen über den Mann im Weißen Haus so: "Ich denke, es sollte eine Altersgrenze für Menschen im Oval Office geben. Ich bin dankbar dafür, dass Biden Israel unterstützt, aber ich hätte lieber jemand jüngeren im Amt", sagte die Frau aus Detroit bei CNN. 

Pennsylvania an der Ostküste gehörte bis vor ein paar Jahren zum "Blue-Belt", zu den uneinnehmbaren Demokraten-Hochburg, benannt nach der blauen Parteifarbe. Heute aber versinken die Ortsverbände im Chaos und reißen Bidens Wahlchance mit in den Abgrund. "Stunde der Amateure", "beschissene Katastrophe", sagen Mitarbeiter anonym. Anlass sind falsch bedruckte Wahlkarten, Geldnot, entlassene Wahlhelfer und ganz generell mangelndes Vertrauen in die Parteispitze. "Pennsylvania ist der größte umkämpfte Bundesstaat im Land und wir haben einen inkompetenten faulen Typen, der keine Ahnung hat, wie man eine Partei führt", sagt ein Abgeordneter. 

"Wer Wisconsin gewinnt, zieht ins Weiße Haus"

Auch Wisconsin, Spitzname "Amerikas Molkerei", zählte einst zu den "Blue-Belt"-Staaten. Hier sind die Demokraten tatsächlich in die links-progressive Ecke gerückt, doch ihr Kampf gegen Rassismus und für Gender-Themen kommt nicht bei allen gut an. Gebildete weiße Männer etwa wenden sich von den Demokraten ab, selbst Gewerkschafter wählen nicht mehr verlässlich blau – obwohl sich Biden sein Leben lang als einer der ihren geriert. Für Ben Wikler, dem örtlichen Parteichef, steht nächstes Jahr alles auf dem Spiel: "Wer immer Wisconsin gewinnt, zieht ins Weiße Haus. Es fühlt sich wie der größte Kampf an." 

Quellen: "New York Times", 270towin.com, CNBC, "Politico", David Axelrod auf Twitter, CNN, Tagesschau, "Vanity Fair", "The Atlantic", NBC, NPR