Die Aussagen des Bundeskanzlers wirken unmissverständlich. "Der Bürgerkieg in Syrien ist beendet", sagte Friedrich Merz am Montagabend. Es gebe daher "keinerlei Gründe für Asyl" mehr in Deutschland.
Es soll ein Machtwort sein, dass den unionsinternen Streit um Abschiebungen in das vom Krieg verwüstete Land beendet. Doch so einfach, wie es der Kanzler darstellt, ist es mal wieder nicht.
Was in diesen Tagen aber deutlich wird: Die Union will nicht nur Straftäter und Gefährder aus Deutschland entfernen. Womöglich zehntausende weitere syrische Flüchtlinge sollen bald das Land verlassen.
Unionsfraktionsgeschäftsführer Steffen Bilger forderte am Dienstag, "in einem zweiten Schritt" auch jene Syrer abzuschieben, die nicht gut integriert seien. "Wer sich schwertut, wer keine Arbeit hat, den sollten wir in den Blick nehmen", sagte Bilger. Gut integrierte und jene mit Staatsbürgerschaft seien nicht betroffen.
Wer aber entscheidet, wann jemand gut integriert ist? Und stimmt es, dass wieder problemlos nach Syrien abgeschoben werden kann? Oder hat der Bundeskanzler unrecht?
Was fordert die Union?
Unionsabgeordnete erklären schon länger, dass das Flüchtlingsrecht nur eines auf Zeit ist. Die Union will daher nicht nur Straftäter ausweisen. "Mit dem Ende des syrischen Bürgerkriegs ist auch der Schutzgrund für alle Bürgerkriegsflüchtlinge weggefallen", sagte Vizefraktionschef Günter Krings dem stern. "Damit müssen in nächster Zeit auch die bisherigen humanitären Aufenthaltstitel aufgehoben werden."
So steht es auch im Asylrecht: Wenn der Schutzgrund entfällt, kann es auch zum Widerruf des Asyltitels kommen. Dies sind Einzelfallentscheidungen. Krings stellt daher hohe Anforderungen an einen Verbleib: "Wer es in einem zum Teil zehnjährigen Aufenthalt in Deutschland nicht schafft, die Mindestvoraussetzungen für eine Niederlassungserlaubnis oder eine Einbürgerung zu erfüllen, muss grundsätzlich in seine Heimat zurückkehren."
Niederlassungserlaubnis oder Einbürgerung würden keine unerfüllbare Anforderung darstellen, sagt Krings. Es gehe ihm bei der Integration im Land insbesondere um die Sicherung des Lebensunterhalts durch eine mehrjährige sozialversicherungspflichtige Beschäftigung, angemessene Deutschkenntnisse und eigenen Wohnraum. Wer vom Sozialstaat lebe, könne nicht auf den Verbleib in Deutschland hoffen.
"Syrien braucht – wie Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg – jede helfende Hand für den Wiederaufbau. Wer, wenn nicht die eigenen Staatsbürger, sollten dabei in erster Reihe anpacken?“, fordert auch Manuel Hagel, Fraktionschef und Spitzenkandidat der CDU in Baden-Württemberg. "Ist der Schutzgrund entfallen – wie bei vielen schutzsuchenden Syrern –, steht natürlich die Rückkehr an: freiwillig oder, wenn erforderlich, verpflichtend", sagte Hagel dem stern. Humanitärer Schutz sei kein Daueraufenthaltsrecht. "Das ist oberste Grundlage für die Akzeptanz unserer Hilfe."
Wie viele Syrer wären betroffen?
In Deutschland leben derzeit rund 900.000 Syrer. 700.000 von ihnen haben einen zeitlich begrenzten Aufenthaltstitel. Rund 350.000 von ihnen haben nur einen subsidiären Schutztitel. Sie haben kein Asyl wegen individueller Verfolgung erhalten, sondern wegen Lebensgefahr durch Krieg und Terror in ihrem Heimatland.
Rund 45 Prozent der Syrer mit Schutztitel arbeiten, die meisten von ihnen in sozialversicherungspflichtigen Jobs. Die Quote steigt kontinuierlich, besonders bei Männern. Frauen arbeiten jedoch nur sehr selten.
Als Ende 2024 der Diktator Baschar al-Assad gestürzt wurde, endete der Bürgerkrieg in Syrien. Union und SPD hielten deshalb im Koalitionsvertrag fest, dass man nach Syrien abschiebe, "beginnend mit Straftätern und Gefährdern". Inzwischen haben auch mehrere Verwaltungsgerichte geurteilt, dass für arbeitsfähige Männer unter bestimmten Umständen kein sogenanntes Abschiebungsverbot gilt.
Das Verwaltungsgericht Augsburg etwa hat kürzlich entschieden, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) habe einem syrischen Straftäter zu Recht den Flüchtlingsschutz entzogen. Auch die Verwaltungsgerichte in Berlin und Köln haben ähnlich geurteilt. Demnach seien bestimmte Gebiete in Syrien inzwischen sicher. Zwar herrsche in Syrien Armut. Gesunde und arbeitsfähige Männer könnten aber für ihre elementarsten Bedürfnisse sorgen.
Schon im Sommer 2024 hatte das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen entschieden, es gebe keine bürgerkriegsbedingte allgemeine Gefahr mehr für Leib und Leben der Zivilbevölkerung in Syrien. Deswegen hätten Syrer nicht grundsätzlich ein Recht auf den sogenannten subsidiären Schutz. Auch wegen dieser Entscheidungen hat das Bamf die Prüfung von Asylverfahren junger Syrer wieder aufgenommen.
Was spricht gegen Abschiebungen nach Syrien?
Der Diktator Assad ist gestürzt, aber die Sicherheitslage im Land ist weiterhin äußerst instabil. Außenminister Johann Wadephul (CDU) sprach von teils "apokalyptischen Situationen" in einzelnen Städten und warnte daher vor Abschiebungen in das Land. Erst daran hatte sich der Streit innerhalb der Union entzündet.
Fakt ist: Es gibt in vielen Regionen Syriens Mangel an Wasser, Medikamenten und Strom. Hunderttausende leben als Binnenflüchtlinge. Die Übergangsregierung und verbündete Milizen sind noch nicht in der Lage, gerade ethnische Minderheiten zuverlässig zu schützen. 2025 kam es zu Massakern an Alawiten und Drusen. Unionsfraktionsgeschäftsführer Steffen Bilger betonte, dass man je nach ethnischer Zugehörigkeit über Abschiebungen entscheiden müsse.
Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) will trotzdem noch in diesem Jahr eine Vereinbarung mit Syrien über Abschiebungen treffen. Dann würde nach 14 Jahren wieder in das Land abgeschoben. Ohne die Zustimmung des Aufnahmelandes funktioniert das ohnehin nicht. Bundeskanzler Merz hat den syrischen Übergangspräsidenten Al-Scharaa auch deshalb nach Deutschland eingeladen.
Auch Dobrindt sagte, grundsätzlich hätten Syrer, die hier arbeiten, "eine Chance, in Deutschland zu bleiben." Für alle anderen wolle man die Ausreisepflicht durchsetzen. Am Ende bleiben dies Einzelfallentscheidungen des Bamf, denen von den Betroffenen widersprochen werden kann und die dann von Gerichten überprüft werden können.
Auch deshalb sind schnelle Ausreisen in großem Umfang nicht zu erwarten. Die Bundesregierung setzt deshalb auf freiwillige Ausreisen. Mehr als 2000 Syrer haben das allein in der ersten Jahreshälfte in Anspruch genommen.
"Wer jetzt Rückführungsversprechen abgibt, bevor ein funktionierender Staat in Syrien steht, produziert Erwartungen, die vor Gerichten einkassiert werden und damit mehr Unsicherheit", sagt etwa Marcel Emmerich, Innenexperte der Grünen im Bundestag. Viele Syrer würden in Krankenhäusern arbeiten, in Pflegeeinrichtungen und im Handwerk. "Wer sie pauschal zum Teil einer Abschiebedebatte macht, schadet dem Zusammenhalt und verunsichert Unternehmen."
Hat Friedrich Merz recht?
Nein. Es gibt natürlich weiterhin Asylgründe für Syrer in Deutschland, etwa weil sie persönlich verfolgt werden. Das Asylrecht ist ein individuelles Schutzrecht und hat nicht per se damit zu tun, ob in einem Land Kampfhandlungen passieren. Dazu zählt persönliche Verfolgung wegen der Ethnie, Nationalität, Religion oder politischer Überzeugung. Ein gutes Beispiel ist die Türkei: Jeder fünfte Türke, der in Deutschland einen Asylantrag stellt, bekommt diesen auch bewilligt. Meist sind es Kurden, die politisch verfolgt werden.
Syrern wurde bisher meist subsidiärer Schutz zugesprochen, wenn sie weder als Flüchtling noch als Asylberechtigte nach der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt wurden, da ihnen wegen des Kriegs im Land Schaden drohte. Hier zeichnet sich durch die veränderte Lage in Syrien allerdings ein Kurswechsel ab. Dies belegen auch die jüngsten Gerichtsentscheidungen zu Abschiebungen nach Syrien.
Es müssten auch all jene Syrer zittern, die einen Job haben. Der Widerruf des Asylstatus hängt nicht per se am Status der Integration, sondern in erster Linie am Wegfall der Schutzgründe.
Allerdings gilt auch: Für "gut integrierte Jugendliche" oder "nachhaltig integrierte Erwachsene", so steht es im Aufenthaltsgesetz, kann bei der Prüfung trotzdem eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden.