Jeremiah Wright nimmt kein Blatt vor den Mund und sich selbst anscheinend sehr wichtig. Und das könnte Barack Obama zum Verhängnis werden. Ausgerechnet wenige Tage vor den möglicherweise entscheidenden Präsidentschaftsvorwahlen in den US-Staaten Indiana und North Carolina hat sich der kontroverse radikale Expastor des schwarzen Senators entschlossen, ins Rampenlicht zu treten. Bereits Anfang März waren aufrührerische Predigt-Passagen des schwarzen Reverend, der etwa den USA die Schuld an den Terroranschlägen vom 11. September gibt, an die Öffentlichkeit gelangt und hatten Obama im Wahlkampf außer Tritt gebracht. Nur mit Mühe und Not konnte der demokratische Präsidentschaftsbewerber damals die Wogen glätten.
Nun ist Wright wieder in sein Leben getreten, hat mit gleich mehreren Medienauftritten und neuen rhetorischen Exzessen alles wieder aufgewühlt - just zu einem Augenblick, da sich Obama in Indiana darum bemüht, die weiße Arbeiterschicht für sich zu gewinnen und damit das bisher wichtigste Wählerpotenzial seiner Rivalin Hillary Clinton aufzubrechen. Umfragen deuten auf ein Kopf-an-Kopf- Rennen in Indiana hin. Gelänge Obama dort am 6. Mai ein Sieg und dazu in North Carolina, wo er laut Wählerbefragungen deutlich in Führung liegt, könnte er Clinton nach Experten-Einschätzung aus dem Wettbewerb zwingen. Aber Jeremiah Wright, so formulierte es ein Rundfunkkommentator, ist anscheinend nicht "tot zu kriegen", ein Mann, der nach eigenen Worten der US-Regierung alles zutraut, zum Beispiel die "Erfindung von HIV als ein Mittel zum Völkermord an Farbigen".
Langjährige, enge Bande
Im März hatte Obama derartige "beleidigende" Äußerungen seines einstigen Pastors in Chicago verurteilt, sich aber noch nicht gänzlich von ihm als Menschen distanzieren wollen - zu langjährig und eng waren die Bande zu dem Geistlichen, der einst ihn und Michelle traute und die beiden Töchter der Obamas taufte. "Danke, Jeremiah", lautete es nun am Dienstag in dicken Lettern spöttisch auf der Website Drudge Report über die Art und Weise, wie sich der Geistliche auf seiner Medientour für die so lang andauernde Zurückhaltung Obamas revanchierte - mit der Bemerkung etwa, der Senator habe ihn überhaupt nur kritisiert, um seine Wahlchancen zu wahren.
"Er spricht nicht in meinem Namen. Er spricht nicht im Namen meines Wahlkampfs. ... Gewiss haben die letzten...Tage klar gezeigt, dass wir (unseren Wahlkampf) nicht mit ihm koordinieren", quälte sich Obama am Montag ab, dem Ganzen eine humorige Note zu geben. Da hatte das US-Fernsehen auf allen Kabelkanälen schon einen ganzen Tag lang fast nonstop über Wrights Auftrittserie berichtet, die mit einer flammenden Rede im Nationalen Presseclub der US-Bundeshauptstadt gekrönt wurde. Die Wright-Eskapaden blieben das Topthema in den US-Medien.
Obama ist empört und traurig
Obama musste also reagieren, und er tat es - wenn auch spät - mit scharfen Worten: "Ich bin empört über die Kommentare, die gefallen sind, und traurig über das Spektakel, das wir gesehen haben", sagte Obama. "Die Person, die ich gestern gesehen habe, war nicht die Person, die ich vor 20 Jahren kennengelernt habe." Wrights Bemerkungen seien nicht nur spaltend und zerstörerisch, sondern würden am Ende wohl denen helfen, die den Hass nutzten.
Wright selbst begründete seine Kampagne ausgerechnet zu diesem kritischen Zeitpunkt für Obama damit, dass der Sturm der öffentlichen Kritik an seinen Predigt-Äußerungen einen Angriff auf die gesamte schwarze Kirche darstelle. Es sei an der Zeit gewesen, dem entgegen zu treten. In den meisten Medienkommentaren wurde eine andere Erklärung für den Feldzug des Geistlichen gegeben: ein Ego "größer als die Sonne", wie es beispielsweise ein Moderator des Senders MSNBC formulierte. Für Wright sei es so wichtig, "sich selbst reden zu hören", dass es ihm gleichgültig sei, welchen Schaden er damit dem einstigen Schaf seiner christlichen Herde zufüge.
"Wir alle haben unser Kreuz zu tragen. Reverend Jeremiah Wright ist das von Barack Obama geworden", hieß es in einem Gastkommentar der "Washington Post" mit der Empfehlung, der Senator solle sich nun seinerseits revanchieren und sich gänzlich von Wright distanzieren. Konnte sich Obama dazu erst am Dienstagnachmittag durchringen, kam schon vorher Mitgefühl aus einer unerwarteten Ecke. "Mir tut Obama leid", zitierte die "USA Today" den republikanischen Parteistrategen Ed Rollins. "Dieser Kerl Wright ist wie ein Stück Kaugummi unter deiner Schuhsohle. Du kannst es einfach nicht los werden."