Wahlen in Polen "Die Kaczynskis haben es übertrieben"

Deutlicher als erwartet hat die bisherige Oppositionspartei PO die Wahlen in Polen gewonnen. Im Interview mit stern.de sagte die designierte Justizministerin Julia Pitera, warum die Polen die Kaczynskis abgewählt haben, und wie die neue Regierung aussehen könnte.

Lange Zeit galt PiS als Favorit, die konservative Partei der regierenden Zwillinge Jaroslaw und Lech Kaczynski. Warum hat die Bürgerplattform PO nun so klar gewonnen?

Mich wundert es nicht. Die Polen konnten den destruktiven und aggressiven Ton von PiS nicht mehr hinnehmen. Die Brüder Kaczynski haben es übertrieben. In den vergangenen Wochen herrschte eine Atmosphäre der Bespitzelung, Verfolgung und Beschuldigungen. Wir wurden wir als Diebe bezeichnet, es waren persönliche Angriffe. Die Leute wollen diese scharfe Rhetorik nicht mehr hören.

Viele hielten die Wahlen für die wichtigsten seit zwanzig Jahren, als es um das Ende des Kommunismus ging.

Es war eine Richtungswahl. Letztlich ging es darum, welche Werte den Polen wichtig sind und in welcher Gesellschaft sie leben wollen. Die Mehrzahl der Polen hat sich für eine liberale, europäische Gesellschaft entschieden.

Die Wahlbeteiligung war mit 53 Prozent für Polen hoch. War das ein Vorteil für Sie?

Es gab viele Aktionen, Websites und Spots, um vor allem die jungen Menschen in die Wahllokale zu bringen. Auch wir haben uns daran beteiligt, meine Seite heißt "Geh zu den Wahlen". Doch viel mussten wir nicht tun. Die Polen sind sehr politisiert durch die Kaczynskis. Seit dem Kommunismus haben nicht mehr so viele Menschen gewählt.

Das Land ist tief gespalten zwischen PiS-Anhängern und den anderen. Wie können Sie die Gesellschaft wieder befrieden?

Die Spaltung des Landes ist die größte Sünde der Kaczynskis. Die Stimmung ist so emotional, dass die Menschen über Politik kaum noch miteinander reden können. Ich habe es im Wahlkampf gemerkt. Einige Menschen haben mich auf der Straße geküsst und umarmt. Andere haben gerufen: "Pitera ins Gas!" Es war mein fünfter Wahlkampf und mit Abstand der härteste. Wir müssen jetzt Ruhe in die Politik tragen und den Ton ändern.

Zur Person

Die 54-Jährige Julia Pitera ist eine der führenden Köpfe der Bürgerplattform PO, dem Sieger der polnischen Parlamentswahl. Im Schattenkabinett des Oppositionsführers Donald Tusk fungierte sie als Justizministerin.

Vor zwei Jahren war noch eine Koalition zwischen PO und PiS im Gespräch. Gibt es Gemeinsamkeiten zwischen Ihnen?

Definitiv nicht. Außerdem will Jaroslaw Kaczynski alles dominieren und diktieren. Es ist schon deshalb nicht möglich, mit PiS zusammen zu arbeiten.

Sein Zwillingsbruder Lech bleibt bis 2009 Präsident. Mit ihm werden Regierung und Parlament zusammen arbeiten müssen. Er kann gegen jedes Gesetz ein Veto einlegen.

Wir werden sehen, ob der Patriotismus des Präsidenten Kaczynski darin bestehen wird, das Land mit seinen Vetos zu lähmen. Gemeinsam mit den Parteien LiD und PSL können wir das Veto aber in jedem Fall umgehen. Er hat bereits angekündigt, dass er an der Benennung von Ministern beteiligt werden will, obwohl das rechtlich nicht vorgesehen ist. Man wird sich auf Kämpfe einstellen müssen.

Die Bürgerplattform braucht wahrscheinlich einen Koalitionspartner. Werden Sie sich mit der Bauernpartei PSL einigen können?

Falls wir nicht alleine regieren können, ist eine Koalition mit der PSL die einzige Möglichkeit.

Sie werden gegen einen Teil der Medien regieren müssen. Das öffentliche Fernsehen hat sich eindeutig auf die Seite der Kaczynskis geschlagen. Was werden Sie tun?

Das öffentliche Fernsehen mischt in der Politik mit und beachtet seinen eigentlichen Auftrag der neutralen Information nicht. Das muss sich ändern. Unsere Bedingungen waren während des Wahlkampfs tatsächlich sehr schlecht. Ich wurde zwei Mal im öffentlichen Fernsehen gezeigt: Einmal war zu sehen, wie ich einer Wählerin ein Flugblatt geben wollte, das die Frau aber nicht nahm.

Was sind Ihre politischen Ziele?

Zwei Jahre sind verschwendet worden. Es ist Zeit für Reformen. Wir müssen die Steuern senken, bürokratische Hürden für Unternehmer abbauen, das marode Gesundheitswesen modernisieren.

In der Außenpolitik folgten die Kaczynskis einem sehr konfrontativen Kurs. Das Verhältnis zwischen Deutschland und Polen ist so schlecht wie schon lange nicht mehr. Wird sich das ändern?

Ohne Zweifel. Die Kaczynskis haben immer nur die Vergangenheit gesehen. Zu kommunistischer Zeit galt Deutschland als Feind, vor dem uns nur die Sowjetunion geschützt konnte. Dieses Feindbild haben die Brüder verinnerlicht und wieder aufleben lassen. Das ist absurd. Die heutige Generation der Deutschen trägt keine Verantwortung am Zweiten Weltkrieg.

Interview: Bettina Sengling