Noch müssen die Mitglieder der SPD grünes Licht geben, doch kommt die Große Koalition, kommt auch das Lieblingsprojekt der Sozialdemokraten: der gesetzliche flächendeckende Mindestlohn. Laut Koalitionsvertrag sollen spätestens ab 2017 8,50 Euro pro Stunde in allen Regionen und Branchen gelten, eingeführt werden soll er bereits 2015. Nur wie kann überprüft werden, ob die Arbeitgeber sich wirklich an die Lohnuntergrenze halten?
Zuständig für die Kontrolle ist der Deutsche Zoll, der 6500 Beamte gegen Schwarzarbeit einsetzt und die 15 branchenspezifischen Mindestlöhne überwacht, die es schon jetzt in Deutschland gibt - etwa bei Dachdeckern, Steinmetzen und Sicherheitsdiensten. Doch nun schlagen die Kontrolleure Alarm: "Ein flächendeckender Mindestlohn wäre eine völlig neue Herausforderung", sagt Klaus Leprich, Vorsitzender der Deutschen Zollgewerkschaft im Gespräch mit stern.de. Er rechnet mit sechs bis zehn Millionen Arbeitsverhältnissen, die der Zoll kontrollieren müsste – und fordert 2000 neue Mindestlohnkontrolleure. "Andernfalls können wir den Mindestlohn nicht wirksam überwachen."
Zollgewerkschaft schlägt Alarm
Denn verglichen mit dem Kampf gegen Schwarzarbeit, wo der Zoll etwa auf dem Bau Razzien durchführe und Personalien und Arbeitserlaubnisse prüfe, sei das Vorgehen bei Mindestlöhnen viel schwieriger. "Hier ist es mit Vorortbesuchen nicht getan", sagt Leprich. Stattdessen müssten die Kontrolleure die Geschäftsunterlagen der Firmen im Detail prüfen. Gerade in Gaststätten, Schlachtereien, bei Gebäudereinigungsdiensten oder im Baugwerbe gebe es genug schwarze Schafe, die mit allen Mitteln versuchten, Löhne zu drücken: "Lange Ketten von Sub-Unternehmen, Scheinwerkverträge, Scheinselbständige und illegale Leiharbeit sind an der Tagesordnung."
Schon jetzt finde der Zoll bei jeder fünften Firma Verstöße. Im vergangenen Jahr habe die "Finanzkontrolle Schwarzarbeit" mehr als 34.000 Unternehmen stichprobenartig überprüft. Künftig werde das aber zur Abschreckung nicht reichen, sagt Leprich. Nötig seien neben 2000 zusätzlichen Beamten ein systematischer Plan, um ein bis zwei Mal pro Jahr alle betroffenen Firmen zu kontrollieren. "Das ist ein gigantisches Projekt."
Gut ausgebildete Beamte fehlen
Doch der Gewerkschaftsvorsitzende weiß selbst, dass dies voerst Wunschdenken bleiben wird. Denn die Ausbildung zum Betriebsprüfer dauert rund zwei Jahre, außerdem kann der Zoll jährlich nur rund 1100 Beamte ausbilden. "Das deckt gerade einmal die Altersabgänge", sagt Leprich, der den Stellenabbau in seinem Haus in den vergangen Jahren kritisiert. "Wenn wir bis 2017 etwa 500 neue Kontrolleure bekämen und danach 100 zusätzliche pro Jahr, wäre schon viel erreicht." Für ihn steht fest: Sein Dienstherr, das Bundesfinanzministerium, muss Beamte aus anderen Bundesverwaltungen bereitstellen. Und selbst dann könne der Mindestlohn nicht genau überwacht werden.
Bislang aber hält sich die Behörde bedeckt – kein Wunder, denn 2000 zusätzliche Kontrolleure kosteten den Steuerzahler laut Leprich jedes Jahr rund 180 Millionen Euro. Zu Stellenplanungen wollte sich die Behörde gegenüber stern.de nicht äußern. Gegenüber der "Leipziger Volkszeitung" versprach Staatssekretär Werner Gatze lediglich, dass das Bundesfinanzministerium die "personellen Voraussetzungen dafür schaffen wird, um die erfolgreiche Arbeit des Zolls auch unter neuen Bedingungen fortsetzen zu können". Leprich hofft überdies, dass sich die neue Regierung an den Koalitionsvertrag hält, wo mehr Personal für den Zoll vage festgeschrieben ist. Die Prüftätigkeit der Finanzkontrolle Schwarzarbeit sei "organisatorisch effektiver zu gestalten, zu erleichtern und im ausreichenden Umfang zu personalisieren", heißt es dort.

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Höhere Steuereinnahmen dank Mindestlohn?
Das nötige Geld für mehr Mindestlohnkontrolleure müsste unter Umständen gar nicht der Steuerzahler aufbringen - das könnte der Mindestlohn selbst tun. Das sagen zumindest seine Befürworter: Sie rechnen damit, dass eine Lohnuntergrenze kaum oder gar keine Jobs kosten würde. Und wenn die Menschen mehr verdienten, bräuchten sie weniger Transferleistungen vom Staat und zahlten höhere Einkommenssteuern und Sozialbeiträge. So argumentieren etwa die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung und das Schweizer Beratungsunternehmen Prognos. Ihnen zufolge brächte ein Mindestlohn von 8,50 Euro dem Fiskus mehr als sieben Milliarden Euro Steuereinnahmen.
Die Gegner des Mindestlohns sehen das naturgemäß anders: Das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft rechnet im schlimmsten Szenario mit Gesamtsteuerverlusten von 6,6 Milliarden Euro, weil Jobs verloren gehen und Unternehmen weniger Gewinnsteuern zahlen könnten. Wie so oft liegt die Wahrheit vermutlich dazwischen. Sicher ist nur eins: Auch wenn die Genossen "Ja" zur Großen Koalition sagen - wie sich der Mindestlohn in einigen Jahren genau auswirkt, kann niemand vorhersagen.