Der Stararchitekt Frei Otto hat wegen Sicherheitsbedenken einen Stopp des Bahntunnel-Projekts in Stuttgart gefordert. Es müsse die "Notbremse" gezogen werden, sagte Frei, der vor einem Jahr aus dem Stuttgart-21-Projekt ausgeschieden war, dem Hamburger Magazin "Stern". Unterdessen begannen am Mittwochmittag die Abrissarbeiten am Nordflügel des Bahnhofs, die von massiven Protesten tausender Demonstranten begleitet wurden.
Otto geht davon aus, dass im Erdreich von Stuttgart Gipsschichten mit hohem Anhydridanteil aufquellen und Hohlräume oder unkontrollierbare Krater bilden könnten. Die Gefahr sei so groß, dass es dabei "um Leib und Leben" gehe. Laut "Stern" bestätigt ein kaum bekanntes geologisches Gutachten von 2003 Ottos Bedenken. Der Tübinger Geologe Jakob Sierich, ein Spezialist für Anhydrid- und gipsführende Erdschichten, habe für das Magazin das Gutachten nun analysiert. Sein Befund: "Bei Stuttgart 21 geht es nicht um mögliche Risse in Häusern, es geht um mögliche Krater, in denen Häuser verschwinden können. Es geht um Menschenleben." Otto sagte dazu, "mit dem Wissen von heute", könne er dieses Projekt nicht mehr verantworten.
Im badischen Staufen, wo die Erde zur Erdwärmegewinnung angebohrt und Anhydritschichten getroffen wurde, hatten sich Häuser gehoben und große Risse bekommen. In der Nähe von Stuttgart muss derzeit laut "Stern" ein Autobahntunnel aufwendig repariert werden, weil der Druck aus der Tiefe die Straße verformt.
Die Gegner des umstrittenen Bauprojekts reagierten am Mittwoch mit einer spontanen Demonstration auf die einsetzenden Abrissarbeiten am Flügel des alten Bahnhofs. Nach Angaben des Aktionsbündnis-Sprechers Axel Wieland waren bis zum Nachmittag bis zu 5000 Demonstranten auf den Straßen Stuttgarts und blockierten verschiedene Kreuzungen des Hauptstadtrings. Für eine Protestaktion am Abend wurden Wieland zufolge mehrere zehntausend Bürger erwartet. Die Polizei hatte nach eigenen Angaben hunderte Beamte im Einsatz und bestätigte zahlreiche Straßenblockaden, die den Verkehr zum Erliegen brachten.
Die Verlegung des Stuttgarter Bahnhofs unter die Erde sowie eine neue Bahntrasse zum Flughafen und nach Ulm gelten als das größte Infrastrukturprojekt Europas. Die Projektgegner kritisieren unter anderem dass die Kosten für das Gesamtvorhaben statt der geplanten sieben Milliarden Euro auf bis zu elf Milliarden Euro steigen werden. Die Befürworter des Projekts verweisen demgegenüber auf kürzere Reisezeiten, rund 4000 neue Arbeitsplätze und bis zu acht Milliarden Euro Folgeinvestitionen: Etwa wenn auf den rund 100 Hektar Gleisanlagen, die nun in bester innerstädtischer Lage abgerissen werden, neue Wohn- und Geschäftshäuser entstehen.