Plötzlich ist sie wieder da: die Debatte um die Atomkraft. Und sie bringt die größte Spannung in diesen insgesamt eher gemächlichen Wahlkampf. Der Streit um die Laufzeiten der Kernkraftwerke spaltet sogar die Kuschel-Koalition von Union und SPD. Hier sind die Fronten klar wie eh und je, bei keinem anderen Thema gibt es eine schärfere Trennlinie zwischen den politischen Lagern.
Union und FDP wollen den Atomausstieg rückgängig machen - SPD, Grüne und die Linke stehen betonhart dagegen. Klar ist: Bei dem bisherigen Fahrplan, nach dem das letzte deutsche Kernkraftwerk um 2021 vom Netz geht, bleibt es nur, wenn Sozialdemokraten oder Grüne an der nächsten Regierung beteiligt sind. Sie sind die Garanten für eine atomfreie Zukunft in Deutschland, und das könnte ihnen entscheidende Wählerstimmen sichern.
Denn plötzlich bewegt die Atom-Debatte wieder die Deutschen. Und sie ist zum Störfall in den schwarz-gelben Machtträumen geworden; Union und FDP sind in die Defensive geraten.
Sechs Milliarden Euro mehr pro Jahr
Dabei brachte das Thema seit Jahren niemanden mehr in Wallung. Als Sozialdemokraten und Grüne 2002 den schrittweisen Ausstieg durchsetzten, war der große Kampf, der über Jahrzehnte die Bundesrepublik in Atem gehalten hatte, vorerst ausgefochten. Die Kraftwerksbetreiber schienen sich mit dem Kompromiss abzufinden, auch die Union gab sich 2005 bei den Verhandlungen zur Großen Koalition geschlagen und rüttelte nicht mehr an dem rot-grünen Projekt.
Dann allerdings entdeckte Kanzlerin Angela Merkel den Klimaschutz, erntete dafür auf internationalem Parkett Ansehen, und die Union hatte eine neue Argumentationslinie gefunden: Kernkraft gegen den Klimawandel, weil dank Akws die CO2-Emissionen gesenkt werden könnten. Tatsächlich gibt es nun wieder einen weltweiten Pro-Kernkraft-Trend: Viele Staaten wie die USA, Großbritannien und Japan bauen oder planen neue Reaktoren, andere wie Schweden oder Italien nehmen ihren Ausstieg zurück.
Verhältnismäßig umweltfreundlich sind zwar auch Erdgas-Kraftwerke, aber sie erhöhen die Abhängigkeit von Lieferländern wie Russland. Die Atomkraft scheint der einfachste Weg zu sein, im Energiesektor die Treibhausgase signifikant zu senken.
Doch natürlich ging und geht es vor allem um viel Geld. Nach Schätzung der Bank Sal. Oppenheim bringt jedes weitere Jahr, um das die Laufzeit der Reaktoren verlängert wird, den Betreibern bis zu sechs Milliarden Euro Mehreinnahmen. Die Atomlobby ist mächtig, und sie kann sich auf ihre politischen Verbündeten von gestern verlassen.
Mehr Wettbewerb durch Atomausstieg
Union und FDP wissen um die Empfindsamkeit der Bevölkerung. Sie werben für ihren Ausstieg aus dem Ausstieg nun zurückhaltender als früher. Lediglich als "Übergangstechnologie" bezeichnen sie die Atomkraft und geben vor, die Reaktor-Laufzeiten verlängern zu wollen, um klimafreundlichen Alternativen Zeit zum Durchbruch zu verschaffen. Tatsächlich aber würde wohl das Gegenteil eintreten.

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Eon, RWE, EnBW und Vattenfall, Deutschlands vier große Energiekonzerne, sind schon in der Vergangenheit nicht als große Förderer regenerativer Energien aufgefallen. Nach den schwarz-gelben Plänen könnten sie ihre atomaren Gelddruckmaschinen noch viele Jahre länger laufen lassen und sich dem Innovationsdruck entziehen. Das befürchtet auch die Monopolkommission, ein unabhängiges Beratungsgremium der Bundesregierung. Dagegen der Atomausstieg führe zu einer Belebung des Wettbewerbs, weil kleinere Anbieter Chancen bekämen, sagt der Kommissionsvorsitzende Justus Haucap.
Und mehr Konkurrenz im Strommarkt wäre dringend notwendig. Der Großteil des deutschen Netzes liegt immer noch in der Hand der vier Energieriesen, sie diktieren fast nach Belieben die Preise. Schlecht für die Verbraucher: Die deutschen Strompreise gehören im EU-Vergleich zur Spitze.
Wie kein zweiter lässt der umtriebige SPD-Umweltminister Sigmar Gabriel Union und FDP bei der Energiepolitik alt aussehen. Er hat die Atomdebatte angeheizt und die politischen Gegner immer wieder in die Defensive getrieben. Die Skandale um das Atomlager Asse, die Störfälle im Akw Krümmel, dubiose Geheim-Studien aus CDU-Ministerien, womöglich politisch beeinflusste Gorleben-Gutachten: All diese Vorlagen hat Gabriel mit Freude aufgenommen, um Stimmung gegen Atomlobby und Union zu machen.
Und seine zuweilen polternde Art hat durchaus Erfolg: Die Farben Schwarz-Gelb stehen nun für viele Menschen für eine rückwärts gewandte Energiepolitik - ein Stigma, das womöglich wertvolle Stimmen kostet.