Neue Corona-Beschlüsse Corona-Tests nur noch gegen Geld: Nicht ungerecht, aber ungeschickt

Corona-Test bei einem Drive-thru in Hannover
Eine Helferin testet Insassen eines Pkw im "Testzentrum am Zoo" in Hannover. Ab Mitte Oktober sollen die Tests kostenpflichtig werden. Die Meinung der Presse-Kommentatoren ist gespalten.
© Julian Stratenschulte / DPA
Die Bund-Länder-Konferenz hat das Ende kostenloser Corona-Bürgertests beschlossen. Das soll Impfmuffel zum Umdenken animieren. Der richtige Weg? Kommentatoren sind davon nicht überzeugt. Die Presseschau.

Die wirksamste Waffe gegen den herannahenden nächsten Pandemie-Herbst ist das Impfen. Doch die Kampagne ist hierzulande ins Stocken geraten – durch Impfgegner, Impfmuffel oder Impffaule. Argumente gegen die Vakzine gibt es praktisch nicht mehr, nachdem die Stoffe weltweit millionenfach ihre Verträglichkeit und Wirksamkeit unter Beweis gestellt haben. Soll die Gesellschaft trotzdem die Test-Kosten für die tragen, die einfach nicht mitspielen wollen im Kampf gegen die Pandemie? Die Bund-Länder-Konferenz hat dazu nein gesagt. Doch hat sie damit nicht auch eine Waffe gegen das Virus geschwächt?

Das sagen die Presse-Kommentatoren zu den Beschlüssen von Kanzlerin und Ministerpräsidentinnen.

"Frankfurter Allgemeine Zeitung":

"Milliarden Menschen auf der Welt wären dankbar für die Spritze, die Abermillionen privilegierter Europäer verschmähen, ob aus Faulheit oder Gleichgültigkeit, aus Medizin- oder Staatsskepsis. Wie also umgehen mit so viel Unvernunft, ja Undankbarkeit? (...) Am meisten versprechen sich Bund und Länder von der abschreckenden Wirkung einer Art Zweiklassengesellschaft. Vieles wird für nicht immunisierte Bürger wieder nur nach einem Test möglich sein, und diese Tests müssen bald aus eigener Tasche bezahlt werden. Ungerecht ist das nicht – aber womöglich ungeschickt: Um die Impfung als das wirksamste Instrument gegen die Pandemie zu fördern, schwächen Bund und Länder das Instrument der Massentests, das im Kampf gegen die Pandemie ebenfalls gute Dienste leistete. Selbst wenn die Wette millionenfach aufginge: Es wird auch im Winter noch Millionen Ungeimpfte geben. Sie werden Wege suchen und finden, ohne teure Testerei unter Leute zu kommen."

"Zeit online" (Berlin/Hamburg)

"Ein Staat, der in der Impfkampagne Freiwilligkeit verspricht, muss sich entscheiden: Entweder er zahlt den Nichtimpfwilligen die Tests, die er ihnen ersatzweise vorschreibt, solange sie notwendig sind. Oder er lässt sie gleichberechtigt am gesellschaftlichen Leben teilhaben – ohne Test. Dieses Versprechen, es werde keiner zum Impfen gedrängt, ist gebrochen. Impfunwillige werden jetzt stigmatisiert, sie müssen künftig für einen normalen Alltag zahlen. Die politisch Verantwortlichen sollten endlich eingestehen, dass sie hier faktisch auf Zwang setzen: Dass sie den Impfgegnern den Alltag so schwermachen, dass die ihren Widerstand gegen die Spritze aufgeben. Auch wenn das keine bequeme Botschaft an die Bevölkerung ist: Politik bleibt nur glaubwürdig, wenn sie den Menschen klar und offen sagt, was sie tut."

"Spiegel.de" (Hamburg)

"Druck ist okay. Wer jetzt noch die Impfung verweigert, kann durchaus als unsolidarisch bezeichnet werden. Doch die Gründe für die Verweigerung sind bei genauem Hinsehen so vielfältig, dass Druck allein nicht reichen wird. Zwar ist der Anteil derjenigen, die sich einfach nicht dazu kriegen, einen Impftermin zu vereinbaren, immer noch erstaunlich hoch. Nicht zu vernachlässigen aber ist der Anteil derer, die ihre Argumente haben, nicht geimpft werden zu wollen. So wenig nachvollziehbar diese auch sein mögen: Es führt nicht weiter, sie einfach abzutun. Ein Beispiel: Deutschland hat eine Zwei-Klassen-Medizin, es ist gut möglich, dass manche Impfverweigerer so schlechte Erfahrungen mit medizinischem Personal gemacht haben, dass ihr Misstrauen hier begründet liegt.

So braucht es neben Druck auch echten Dialog. Und da hätte die Kanzlerin selbst nun wirklich die besten Möglichkeiten. Wo bleibt denn eine Rede ans Volk, die die neuen Bedingungen berücksichtigt? Wie wäre es mit einem sogenannten Townhall Meeting, einem durchaus bewährten Format, bei dem Bürgerinnen und Bürger fragen und die Kanzlerin antwortet? Es kann doch nicht die Impfkampagne darunter leiden, dass gerade Wahlkampf ist und die Kanzlerin in ihren letzten Tagen womöglich meint, es sei vornehmer, sich zurückzuhalten. Gerade eine Kanzlerin vor ihrem Abschied dürfte doch mehr Vertrauen genießen als eine, die noch Wahlen zu gewinnen hat."

"Neue Osnabrücker Zeitung"

"Bislang nahmen nur rund 52 Millionen Deutsche das Impfangebot mindestens einmal wahr. Während anderswo in der Welt händeringend nach Impfstoff verlangt wird, zieren sich hierzulande offenbar viele, und das zulasten aller. Ob es Verschwörungstheorie, Faulheit oder ein diffuses Unbehagen ist, die Gründe überzeugen nicht. Und so ist es richtig, den Druck auf Ungeimpfte zu erhöhen. Tests für diejenigen, die sich impfen lassen könnten, es aber nicht tun, sollen ab Oktober nicht mehr kostenlos sein. Gut so. Wenn das Interesse an der eigenen Gesundheit oder Solidarität als Gründe nicht ausreichen, motiviert vielleicht der Blick ins Portemonnaie. Es ist absurd, wenn zig Millionen Menschen Masken tragen müssen, nur weil ein Teil der Bevölkerung zu borniert ist, sich impfen zu lassen."

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick

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"Die Rheinpfalz" (Ludwigshafen)

"Das Ende der kostenlosen Corona-Schnelltestes war absehbar. Der Staat kann das Angebot (das viel mehr kostet als ursprünglich geplant) nicht auf Dauer aufrechterhalten. Härter für Ungeimpfte ist freilich die Vielzahl von Zugangsbeschränkungen, die nur mit einem negativen Testat überwunden werden können. Das permanente Testen wird für manche so zum Alltag werden, wenn sie denn weiter am öffentlichen Leben teilnehmen wollen."

"Rhein-Neckar-Zeitung" (Heidelberg)

"Am deutschen Wesen soll jetzt wohl auch der Impfmuffel genesen. Denn den hat die Bund-Länder-Runde im Visier, wenn sie das Aus für kostenlose Schnelltests zum 11. Oktober beschließt. Ein Vorschlag so oberlehrerhaft wie falsch. Die Maßnahme, für Tests künftig in die eigene Tasche greifen zu müssen, wird genau nicht dazu führen, dass Menschen, die aus welchen Gründen auch immer, bisher eine Coronaimpfung scheuten, das bald nachholen. Zumal Menschen, deren Geldbeutel meist notorisch klamm ist, sich genau das nicht leisten werden, können, möchten. Corona ist eben in vielfacher Hinsicht auch ein soziales Problem. Viel besser wäre es, die anderen Impfscheuen zu locken statt sie zu gängeln. Wieso keine Spritze ohne Termin beim Einkauf oder vor dem Fußballspiel? Wieso keine kleinen Belohnungen? In anderen Ländern tun genau solche Verlockungen ihre Wirkung."

"Allgemeine Zeitung" (Mainz)

"Deutschland hat sehr lange über die Impfungen bei Kindern diskutiert und dabei das größere Problem, nämlich die Zahl der impfunwilligen Erwachsenen, völlig unterschätzt. Jetzt hofft man darauf, dass die Anreize fürs Impfen und die Auflagen fürs Testen wirken. Diese Strategie trägt vermutlich tatsächlich bis zu nächsten Bund-Länder-Runde. Aber ob man damit auch durch den restlichen Winter kommt? Weiter darauf zu setzen, dass dieses Auf-Sicht-Fahren irgendwie gut geht, ist jedenfalls keine gute Strategie."

"Badische Zeitung" (Freiburg)

"(...) Es kann durchaus teuer für diejenigen werden, die ungeimpft wieder an Sport- oder Kulturveranstaltungen teilnehmen oder Restaurants besuchen wollen und Tests verpflichtend vorzeigen müssen. Die Maßnahme ist finanzpolitisch richtig und ethisch vertretbar. Die Finanzierung der Tests belastet die öffentlichen Kassen mit Milliardenbeträgen. Gleichzeitig stünde jedem gesunden erwachsenen Bürger eine zumutbare und für ihn kostenlose Alternative zur Verfügung, die ihn wie die Allgemeinheit schützt: die Impfung. Der Staat ist damit unter riesigen finanziellen Aufwendungen seiner Schutzverpflichtung nachgekommen. Es ist zumutbar, dass derjenige, der dieses vernünftige und solidarische Angebot ausschlägt, stärker an den Kosten des Schutzes der Allgemeinheit beteiligt wird."

Bund-Länder-Konferenz: Corona-Tests werden ab 11. Oktober nicht mehr kostenlos sein
Corona-Tests werden ab 11. Oktober nicht mehr kostenlos sein

"Reutlinger General-Anzeiger"

"Doch ums Geld geht es bei der Entscheidung eigentlich nicht. Hintergrund des Ganzen ist es, den Druck auf jene zu erhöhen, die sich bisher nicht piksen lassen, weil sie impfmüde sind, oder weil sie meinen, mit der Spritze würden kleine Chips oder sonst was verimpft. Letztere werden sich auch nicht durch kostenpflichtige Tests umstimmen lassen. 55 Prozent Impfquote sind zu wenig für die Herdenimmunität. Die Angst geht um, dass sich Virusvarianten ausbreiten oder neue entstehen, weil sich ein großer Teil der Bevölkerung noch nicht per Impfung schützt. Weitere Druckmittel werden diskutiert. Viele bezweifeln allerdings, dass sie vor Gericht bestand hätten. Die andere Möglichkeit wären Impfanreize, wie sie in einigen Kommunen bereits ausprobiert werden."

"Freies Wort" (Suhl)

"Die Finanzierung der Tests belastet die öffentlichen Kassen mit Milliardenbeträgen. Gleichzeitig stünde inzwischen jedem gesunden erwachsenen Bürger eine zumutbare und für ihn kostenlose Alternative zur Verfügung, die auch noch gleichzeitig ihn und die Allgemeinheit schützt: die Impfung. Es ist zumutbar, dass derjenige, der dieses vernünftige und solidarische Angebot ausschlägt, stärker an den Kosten des Schutzes der Allgemeinheit beteiligt wird. Eine andere Frage ist, ob die Entscheidung auch klug ist. Wenn Impfunwillige wegen der finanziellen Belastung auf Außenaktivitäten verzichten und ihre Freizeit in den kommenden dunkleren Monaten verstärkt, gar noch in Gesellschaft von Gleichgesinnten, daheim verbringen, ist epidemiologisch keinem gedient."

dho mit DPA