Franz Müntefering sagte einst: "Opposition ist Mist." Von Guido Westerwelle wird man solche Sprüche nicht hören. Nicht, weil es dem Liberalen an derbem Vokabular fehlen würde. Im Gegenteil: Westerwelle schimpft wie ein Rohrspatz, wenn es gegen die Politik der Großen Koalition geht. Kaum ein Thema, zu dem ihm nichts einfallen würde, und er wird damit auch wahrgenommen. Man kann in diesen Tagen den Eindruck bekommen, dass der FDP nichts besser liegt als die Rolle der treibenden Oppositionskraft.
Die Partei hat es geschafft, für alle wirtschaftliberalen Anhänger der Union eine Fluchtburg zu bauen. Das ist zweifelsohne eine strategische Meisterleistung: Weil die FDP von der Schwäche der CDU profitiert, und gleichzeitig die Mehrheitsfähigkeit des bürgerlichen Bündnisses sicherstellt. Wenn es um einen Regierungswechsel auf Bundesebene geht, führt derzeit kein Weg an den Liberalen vorbei. Hut ab, Herr Westerwelle!
Zu dieser großen strategischen Leistung gehört zweifelsohne auch, dass die FDP den Gipfel ihrer Beliebtheit ausgerechnet in einer Zeit erreicht, in der viele ihrer früheren Glaubensgrundsätze infrage stehen. Banken werden verstaatlicht, Rettungspools für Unternehmen angelegt. In den Feuilletons ist vom Zusammenbruch der neoliberalen "Ideologie" die Rede. Was macht die FDP? Sie zeigt sich wendig. Hermann Otto Solms fordert die vorübergehende Teilverstaatlichung aller deutschen Großbanken, und sagt im selben Atemzug, dass die FDP ohnehin schon immer für einen ordnungspolitisch gezähmten Kapitalismus gestanden hätte. Das ist zwar ein krasser Widerspruch zur bisherigen Außenwahrnehmung der Partei. Aber die Bürger scheinen es der FDP nicht übel zu nehmen. Denn im Vergleich zur CDU, die Angela Merkel zur Second-Hand-SPD umgebaut hat, wirken die Liberalen immer noch wie die Gralshüter der Freiheit.
Proteste gegen Schäuble?
So profitiert die FDP von dem merkelbedingten Infarkt des wirtschaftsliberalen CDU-Flügels. Gleichzeitig vernachlässigt sie aber die andere Wurzel ihrer Gesinnung: Eigentlich müssten die nicht enden wollenden Datenschutzskandale doch ein gefundenes Fressen für die FDP sein, oder? Und versucht Innenminister Wolfgang Schäuble nicht, ein Bürgerrecht nach dem anderen zu kassieren, um mehr Überwachung zu ermöglichen? Solms, Westerwelle und Niebel veranstalten deswegen keine Sitzblockaden, weder vor dem Bahn-Tower noch vor dem Bundesinnenministerium. Sie liefern nur Lippenbekenntnisse. Wenn liberale Politiker für Bürgerrechte eintreten, dann sind es Polit-Pensionäre wie Burkhard Hirsch und Gerhart Baum. Deswegen schrumpft die Programmatik der FDP in der öffentlichen Wahrnehmung auf einen einzigen Wahlkampfschlager zusammen: Steuersenkungen.
Wie ernst es der FDP damit ist, wird sie womöglich bald beweisen müssen - nämlich für den Fall, dass nach den Bundestagswahlen eine schwarz-gelbe Koalition regiert. Um die liberalen Steuersenkungspläne zu finanzieren, müsste bis dahin die Konjunktur wieder brummen. Was hochgradig unwahrscheinlich ist. Oder die FDP müsste die Minister zu Kürzungen in ihren Ressorts zwingen. Viel Spaß dabei. Aber gerade von diesem Projekt hängt jene Glaubwürdigkeit ab, die im Moment noch das Kapital der Liberalen ist. Vielleicht verzockt sich die FDP schneller, als ihr lieb ist.