Gesine Schwan bei "Jung & Naiv", Teil II Darum ist Merkels "Macht-Opportunismus" gefährlich

Warum Merkels Scheu vor Debatten gefährlich ist und Politiker kaum Ahnung vom NSA-Spähskandal haben: Politologin Gesine Schwan im zweiten Teil des Interviews bei "Jung & Naiv".

Kritik und Verständnis zugleich: Angela Merkel wirke bei dem Versuch, ihre Macht zu erhalten, meist technokratisch, sagt die Politikwissenschaftlerin Gesine Schwan. Vor allem scheue sie öffentliche Debatten in ihrer Partei oder außerhalb, weil sie darin womöglich ihre Existenz gefährdet sieht. Unter anderen vermeide sie zu oft Debatten. Alternativen gäbe es trotzdem - auch bei militärischen Interventionen. Durch sinnvolle Entwicklungsinvestitionen könnten die oft vermieden werden. Dafür sollte Deutschland aber "nicht im eigenen nationalwirtschaftlichen Interesse, sondern zu Gunsten einer besseren Governance Entwicklungspolitik machen".

In Teil zwei des "Jung & Naiv"-Interviews (hier geht's zum ersten Teil) erklärt die zweimalige Kandidatin bei der Wahl zum Bundespräsidentin nicht nur den Politikstil der Kanzlerin, sondern verrät außerdem, warum die Mehrheit der deutschen Politiker den NSA-Überwachungsskandal nur an der Oberfläche versteht.

Tilo Jung: Du hattest vorhin von Opportunismus gesprochen. Ist Angela Merkel eine Opportunistin oder worauf setzt sie?

Mein Eindruck ist, dass sie schon im Wesentlichen darauf schaut, ihre persönliche Macht zu erhalten. Nun muss jeder Politiker Macht erhalten, der etwas bewirken will. Das finde ich überhaupt nicht schlimm. Aber ihr Politikverständnis ist so, dass sie es fast technokratisch darauf anlegt...

Technokratisch heißt?

Das heißt, nicht mit großer öffentlicher Debatte, sondern so, wie ich als Ingenieur eine Wasserleitung anlege. Also indem ich Hebel handhabe, um Lösungen für Probleme geräuschlos, schnell zustande zu bekommen. Das ist auch verständlich: Wenn ich einen Installateur hole, dann soll der möglichst geräuschlos und schnell die Heizung reparieren, ja? Aber eine Heizung zu reparieren ist etwas Anderes als ein politisches Problem zu lösen. Und ein zentraler Punkt ist, dass Frau Merkel öffentliche Debatten – ob in ihrer Partei oder außerhalb – scheut wie der Teufel das Weihwasser. "Wie der Teufel das Weihwasser" heißt im katholischen Milieu, dass der Teufel – so ist die mittelalterliche Idee – dorthin nicht kommt, wo Wasser geweiht ist, weil das seine Existenz gefährdet.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick

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Ich kenne mich mit den Märchen nicht so aus...

Jedenfalls scheut sie öffentliche Debatten, daher auch dieser Spruch. "There is no alternative" da gibt es keine Alternative, das ist alternativlos. Es gibt natürlich immer Alternativen und die muss man öffentlich debattieren. Die können schlechter sein, deswegen wähle ich das, was zunächst für andere vielleicht nicht gleich überzeugend ist. Kurz und gut: Sie hat ein Politikverständnis, das dem Erfordernis von Demokratie entgegen gesetzt ist, nämlich dass Dinge öffentlich debattiert werden müssen, auch um die negativen Seiten von Entscheidungen, die nicht immer sofort auf der Hand liegen, ans Tageslicht zu bringen. Das ist ja der Sinn von solchen Debatten, um dann eventuell einen anderen Kompromiss zu finden. Das alles macht sie nicht. Und zugleich legt sie großen Wert darauf – und ich würde sagen ohne große innere Skrupel, ohne große innere Probleme –, ihre Konzepte, das was sie tut, das was sie sagt, so anzulegen, dass sie das Gefühl hat, eine Mehrheit der deutschen Bevölkerung findet das so gut. Das kann ich auch als Macht-Opportunismus bezeichnen. Manche sagen, sie versucht die Opportunitäten, also die Gelegenheiten zu nutzen. Aber ich glaube, es geht noch tiefer, dass ihr Verständnis von Demokratie so etwas wie öffentliche Debatten über Alternativen nicht enthält.

"Jung & Naiv"...

läuft montags um 19.30 Uhr auf joiz

Warum nutzt sie nicht die Gelegenheit, die NSA-Affäre dazu, sich unabhängiger von den Amis zu machen? Oder den Amis zu sagen: Jetzt reicht es! Das ist doch eine Möglichkeit?

Das könnte sie den Amis sagen. Darüber würden die sich aber nicht sehr viel ärgern. Das weiß sie natürlich, dass das überhaupt keinen Effekt hätte.

Das heißt, sie will vermeiden, dass ihre Schwäche offenbart wird?

Ja. Sie will es legitimerweise vermeiden. Steinmeier vermied das auch auffällig deutlich, als er bei Gerhard Schröder Chef des Kanzleramtes war und damit für die ganzen Geheimdienstsachen zuständig war und damit sehr vertraut mit allem, was da in dieser Sphäre läuft. Angela Merkel will vermeiden, eine Forderung zu stellen, von der sie weiß, dass die nicht erfüllt wird. Das würde ich auch vermeiden an ihrer Stelle. Ich meine, man kann nicht öffentlich etwas fordern, von dem man jetzt schon weiß, das wird nicht erfüllt. Man kann sich aber dann überlegen und sagen: Okay bis zu einem gewissen Grad müssen Geheimdienste forschen, das ist richtig. Nur: Gibt es Lösungen, dieses Überwuchern von GeheimdienstAusspähen zurückzuschrauben? Und hier würde ich wieder sagen, das wird nicht gelingen, wenn man sich nur unter Politikern abstimmt, sondern da muss man auch von europäischer Seite und grenzüberschreitend wieder mit Privatsektor und organisierter Zivilgesellschaft und Wissenschaft zusammenarbeiten. Denn diese organisierte Zivilgesellschaft, die sich zum Beispiel auf solche Sachen spezialisiert, weiß auch einfach inzwischen viel besser als Angela Merkel oder auch als ich, worum es geht. Ich meine, dass ist eine Materie, wo man sich wirklich ganz gut auskennen muss. Das ist dann schwer einzuschätzen, wo sind solche Nicht-Regierungsorganisationen einfach nur polemisch oder utopisch, weil sie denken, wir können auf alles verzichten und wir brauchen gar keinen Geheimdienst mehr. Und wo sind sie genau an der richtigen Stelle? Das heißt, man kann es eigentlich nur überprüfen, wenn man selbst die Sache durchschaut. Man muss fast, würde ich sagen, unter 35 sein, um das zu begreifen. Ich meine, es gibt ein paar Spezialisten, die älter sind, das ist klar. Ich glaube nicht, dass meine Generation deswegen blöder sind, aber wir haben uns eben mit anderen Dingen auseinander gesetzt. Der Computer, soweit er denn täglich benutzt wird, ist inzwischen auch leicht handhabbar. Vor 30 Jahren wäre das auch nicht so leicht gewesen. Das sind ja ganz banale Sachen. Aber man muss sie verstehen und man muss da zum Beispiel auch in den Parteien – und dafür versuche ich auch in meiner Partei zu wirken – die Formulierung von politischen Zielen und Strategien so vornehmen, dass man diese organisierte Zivilgesellschaft in die Beratung miteinbezieht. Entscheiden müssen nachher wieder Parteimitglieder, das meine ich schon. Aber man muss soviel wie möglich außerhalb der traditionellen Prozeduren und außerhalb der traditionellen Parteien, Verbände und so weiter suchen, um die Kompetenz und auch die Bereitschaft zum Widerspruch einzusammeln für eine bessere Politik.

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Habe ich das gerade richtig verstanden? Du glaubst, die Regierenden haben einfach nicht verstanden, warum es bei diesem großen Überwachungsskandal geht?

Das hängt davon ab, was man vom Verstehen verlangt. Die Oberfläche kann man leicht verstehen, aber ich bin nicht sicher, ob du und ich verstehen, was konkret in der NSA passiert. Das würde ich mir nicht anmaßen, denn das ist eine Kombination von Verwaltungsstrukturen und technischen Möglichkeiten, die ich sicher nicht überschaue. Aber "Gegeneliten", ich bin sonst nicht für Eliten, aber Gruppen, die sich auskennen, andere politische und soziale Ziele haben, die können das durchschauen. Darüber muss debattiert werden. Manche machen das ja. Wie heißt gleich nochmal diese wunderbare Computer ...

… CCC? Der Chaos Computer Club?

Ja, die Vorsitzende.

Constanze Kurz.

Ja, genau. Constanze Kurz, die die Theodor-Heuss-Stiftung ja ausgezeichnet hat vor kurzer Zeit. Also die beteiligen sich ja auch an der öffentlichen Debatte und sie ist in meiner Sicht vorbildlich darin, die technischen Dinge, die sie durchschaut, so zu formulieren, dass sie zu einem politischen Gegenstand werden können, also zu einem Gegenstand der politischen Auseinandersetzung. Wir brauchen all diese Übersetzungstätigkeiten, deswegen sage ich auch oft, wir brauchen eine Mehrsprachigkeit. Jetzt nicht nur Deutsch, Französisch, Polnisch oder sonst was zu sprechen, sondern die verschiedenen Fachkenntnisse so aufzubereiten, dass man sich über das, worum es da geht, auch in einer größeren Allgemeinheit verständigen kann. Das ist eine richtige Kunst. Das gab es immer schon als Herausforderung. Ich selbst habe es zum Beispiel immer gut gefunden, dass ich als politikwissenschaftliche Professorin bei Gewerkschaften geredet habe. Ich wollte, dass die Leute, die normalerweise am Fließband arbeiten, verstehen, was ich denke und meine. Und es war für mich ein Test, ob ich mich verständlich ausdrücken kann.

Darum bist du ja hier...

(lacht laut) Nicht nur darum. Aber jedenfalls auch darum.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum Gesine Schwan nicht erneut für das Amt der Bundespräsidentin kandidieren wollte.

Ich habe gelernt, dass diese Alternativlosigkeit ein Merkmal von PostDemokratie ist. Leben wir schon in einer Post-Demokratie?

Das ist Crouch, einer der britischen Politikwissenschaftlicher, die das sagen. Das Wort "post" wird sehr schnell an alles möglich drangeklebt: postindustriell, postmedial, postkapitalistisch, postdemokratisch. Das suggeriert, das legt nahe, dass man so eine Abfolge hat. Jetzt haben wir Demokratie, dann kommt das nächste und so weiter...

… dass die Märkte alles entscheiden...

Ja, aber das ist ein ganz altes Problem. Das hat Karl Marx schon im 19. Jahrhundert gesagt, dass die Ökonomie das Entscheidende ist und die Politik das nur nachvollzieht. Marx hat den Staat den Gesamtkapitalisten genannt. Also den, der im Grunde dafür sorgt, dass der Kapitalismus nicht zusammenbricht, weil er die Infrastruktur leistet. Das ist eine große Debatte. Weil nur, wenn man wie Marx denkt, kann man ein ganz anderes System schaffen, eine weltweite harmonische Koordinierung. Da ich aber an so eine weltweite harmonische Koordinierung der Wirtschaft nicht glaube, werde ich immer eine Stufe tiefer bleiben und sagen, wie müssen mit Staat, aber auch mit Gesellschaft Reformen machen und immer wieder den Kapitalismus bändigen. Es ist ja auch nicht so, das Kapitalismus immer dasselbe ist. Was da in Bangladesch oder in Vietnam oder in Myanmar jetzt passiert, ist nun wirklich etwas Anderes als das, was bei uns passiert. Aber unsere Firmen benutzen kapitalistische, brutal kapitalistische Zustände. Das ist auch ein interessanter Fall für Governance: Erstens, es wird immer öffentlicher seit diesen skandalösen Sachen in Bangladesch. Zweitens, es bilden sich immer mehr Initiativen, die auch versuchen, die Unternehmen in die Pflicht zu nehmen, die Sportfirmen und andere. Dass sie dafür sorgen, dass ihre Zulieferer in Vietnam, in Kambodscha, in Myanmar nicht eine solche, Menschen tötende Wirtschaft betreiben. Denen muss man immer auf den Füßen stehen, diesen Firmen hier. Das sind ja all die großen Firmen, Gucci und so weiter, die da auch produzieren lassen. Mit Hilfe von Öffentlichkeit, mit Hilfe von Initiativen kann man das immer wieder aufmachen mit Hilfe zum Beispiel der ILO, der Internationalen Labour Organization, der Vereinten Nationen, mit Hilfe der Internationalen Gewerkschaftsbewegung, die versuchen muss, dort auch Gewerkschaften zu schaffen. Es gibt eine ganze Reihe von Hebeln und man muss mächtig dran sein. Aber das sind auch wieder Initiativen, die aus der Gesellschaft kommen, die aber auch auf die größeren Organisationen wie Gewerkschaften und Parteien zugreifen müssen. Die sind auch nicht alle immer nur das Gelbe vom Ei. Das wissen wir, weil wir auch alle als Menschen nicht immer das Gelbe vom Ei sind. Aber trotzdem einzugreifen, das passiert gerade an der HumboldtViadrina School of Governance. Da haben wir eine sogenannte garment initiative, die geht unter anderem von meinem Mann Peter Eigen aus, der Transparency International gegründet hat. Aber auch in Kooperationen mit Muhammad Yunus zum Beispiel und dem Otto Versand, der so etwas sehr sorgfältig macht, als Unternehmen zu prüfen, welche Materialien nehmen wir, wie sind die Arbeitsbeziehungen – und der sich sofort gemeldet hat, weil der Ruf der westlichen Firmen sofort geschädigt wird in solchen Fällen. Das ist ein Mittel. Man muss deren Ruf schädigen, damit sie sich darum kümmern, was bei der Zulieferungsindustrie passiert. Das sind alles Bestandteile von Governance, die über traditionelles Government hinausgehen.

Ein sehr schönes Beispiel. Zum Schluss möchte ich darüber reden, du wolltest mal Bundespräsidentin werden?

Ja.

Wann war das?

Zweimal: 2004 und 2009.

Gegen wen hast du verloren?

Beide Male gegen Horst Köhler.

Aber der ist ja irgendwann abgetreten.

Ein Jahr später, nach 2009. 2010 ist er abgetreten.

Warum haben sie dich nicht noch einmal nominiert?

Weil dann die Parteienkonstellation ganz anders war. Das muss man einfach sehen. Die Mehrheiten waren anders. Sie hatten vorher auch Gauck nominiert, der hat erstmal verloren. Dann hatten wir ja nochmal einen Bundespräsidenten gehabt.

Und jetzt ist es Gauck?

Jetzt ist es Gauck.

Auf der nächsten Seite erfahren Sie, warum die Beseitigung von Korruption militärische Interventionen verhindern kann.

Ich habe mal ein Zitat von dir gelesen: "Liebes Deutschland, habe mal ein bisschen mehr Vertrauen in dich".

Ich habe das gesagt? Das glaube ich nicht.

Doch, du hast das irgendwo in ein Gästebuch geschrieben, was du Deutschland sagen würdest. Das steht bei Wikipedia.

Das glaube ich nicht. Ich habe gesagt, ich möchte dazu beitragen, dass die Deutschen wieder mehr Vertrauen in Demokratie haben. Das habe ich sicher gesagt, ja.

Das zielte eher auf die Frage: Joachim hat ja letztens gesagt, dass die Deutschen militärisch mehr Verantwortung in der Welt übernehmen. Meint ihr da dasselbe?

Ich habe, ehrlich gesagt, diese Rede, die im Moment ja oft auftaucht, nicht gelesen, nicht nachgelesen, nicht gehört. Aber ich glaube, dass es da sehr auf die konkrete Formulierung ankommt, wenn man versucht zu vergleichen, was der Bundespräsident gesagt hat, was Außenminister Steinmeier gesagt hat und was Verteidigungsministerin von der Leyen gesagt hat. Da gibt es Unterschiede in den Nuancen. Und diese Unterschiede sind wichtig. Ich glaube, ich kann nicht Pazifistin sein, obwohl ich aus einem pazifistischen Elternhaus komme, weil für mich der Grundtatbestand ist, dass Hitler nur militärisch besiegt werden konnte und nicht durch zivilen Widerstand. Andererseits haben wir in den letzten Jahren erlebt, dass militärische Lösungen für Situationen, in denen ein Regimewechsel herbeigeführt werden soll, wie im Irak oder in Afghanistan, sehr wenig einbringen. Man kann neue, demokratische Politiken nicht militärisch herbeiführen. Da war die Situation in Deutschland 1945 eine ganz andere als im Irak oder in Afghanistan. Das kann man nicht gleichsetzen. Diesen Aspekt, dass man nicht prinzipiell auf Militär verzichten kann, das würde ich auch sagen. Dass man sich aber auch nicht vorstellen kann, dass Soldaten irgendwo hinzuschicken wirklich schon die Lösung ist, in dieser Spannweite muss man formulieren. Ich würde jetzt sagen, die Folgerung wäre eher, dass wir endlich zum Beispiel unsere 0,7 Prozent Anteil am Bruttosozialprodukt für die Entwicklungshilfe erfüllen, wie wir es mal gesagt haben. Wenn wir sehr viel mehr präventiv Entwicklungshilfe, was konkret Governance-Hilfe heißt, machen würden. Das heißt, es geht nicht darum, Getreide irgendwohin zu schicken. Es geht darum, dass wir im Verhältnis zwischen Europa und Afrika nicht eine Zollpolitik machen oder eine Subventionspolitik, die den Afrikanern es schwer macht, ihre eigene Ernährung zustande zu bringen. Das sind Governance-Fragen, das sind Fragen der politischen Verabredung und der Verträge. Da wird unglaublich viel Korruption betrieben. Rohstoffe sind nicht nur Kohle, das ist auch Getreide, das ist auch Nahrung und so etwas. Es geht darum, dass im Rohstoffsektor Durchsichtigkeit besteht, das betrifft besonders die großen Firmen, auf die die kleinen afrikanischen Länder angewiesen sind, wenn sie ihre Rohstoffe wirtschaftlich ausbeuten wollen. Es ist wichtig, dass solche Investitionen nicht das ganze Land zerstören, nicht die Umwelt zerstören, nicht die eingelebten sozialen Zusammenhänge zerstören. Wenn man daran nicht arbeitet, dann soll man nicht sofort über Militär sprechen, also wenn eine Regierung nicht im eigenen nationalwirtschaftlichen Interesse, sondern zu Gunsten einer besseren Governance Entwicklungspolitik macht, was übrigens im Wohlfahrtsstaat auch langfristiges Interesse der Deutschen ist. Wenn das aber nicht geschieht, dann bin ich sehr skeptisch, wenn man sich nur auf die militärischen Sachen stützt. Aber dass wir, weil wir mehr Macht haben, auch mehr Verantwortung tragen, das ist ein richtiger Satz. Das gilt auch für Europa. Wir haben mehr Macht, wir haben mehr Möglichkeiten, das ist eine breit geschichtete Macht. Die soll man aber nicht dazu einsetzen, und das ist in meiner Sicht in Europa die letzten Jahre geschehen, dass man immer die deutschen Interessen durchsetzt. Und zwar die eng gefassten, kurzsichtigen nationalen Interessen. Sondern dass man sich verantwortlich fühlt für das Ganze und damit auch den deutschen Anteil, auch den Anteil an Verantwortung, an negativer Verantwortung wahrnimmt. Ich wundere mich, dass die Verteidigungsministerin, die sich sicher nicht von morgens bis abends mit diesen Fragen befasst hat, sondern eher mit anderen, kaum im Amt so schnell dabei ist, solche strategischen Äußerungen zu tun. Wenn ich mich in eine Sache einarbeiten müsste, ich war nie Ministerin, dann guckte ich doch erst mal, was gibt es da für unterschiedliche Meinungen. Da wäre ich ein bisschen vorsichtiger. Bei Steinmeier ist das anders. Der kennt den Job, der hat das schon ganz lange gemacht. Zum Bundespräsidenten will ich mich jetzt nicht äußern. Es fällt auf, dass er das jetzt alles sagt, nachdem das schon von der Regierung kommt. Aber gut, das ist natürlich... das ist auch ein Amtsverständnis. Jedenfalls bin ich da sehr skeptisch. Übrigens habe ich das Gefühl – ich bin sonst nicht umfragen-gläubig – es gibt gerade eine neue Umfrage, dass Steinmeier, der damit angefangen hat, dass wir mehr Verantwortung übernehmen müssen, an Popularität gewonnen hat, während Frau von der Leyen massiv an Popularität verloren hat als Verteidigungsministerin. Das sagt eine Menge. Das ist eine Fehlbesetzung.

Die Deutschen mögen keine Kriegstreiberei.

Nein, …

… auch nicht darüber zu reden.

Doch, darüber reden muss man, finde ich. Denn sonst macht man das unter der Hand. Das finde ich nicht gut. Aber der Ton macht die Musik. Es ist die Frage, ob ich sozusagen schneidend etwas feststelle, und auch die Deutschen, wo es dann um Tod und Leben geht, sich sagen: Na, das geht aber ein bisschen hopphopp. Oder ob ich mit der Erfahrung von Außenpolitik und Außenministerjahren sage, wir müssen hier ehrlicher sein und wir müssen zum Beispiel auch europapolitisch aufpassen, dass wir mit Frankreich zusammen sind. Das sind ja legitime Aspekte, die Kooperation mit Frankreich. Also dass wir das in einem breiteren Koordinatensystem, einem breiteren System, einem breiteren Zusammenhang von Gesichtspunkten sehen, die wir alle einbeziehen müssen. Wenn ich ein guter Tischler bin, muss ich auch ganz viele Dinge einbeziehen: Wie ist das Holz, wie ist der Leim, an welcher Stelle steht das und so weiter. Und wer nicht Tischler ist, der weiß das gar nicht, was da einbezogen werden muss. Da muss man einfach nur die Einstellung entwickeln: Ich muss bedacht sein, ich muss vorsichtig sein. Vorsichtig nicht, dass ich zögerlich bin, ich muss mich auch entscheiden irgendwann. Aber ich muss erst mal sorgfältig gucken, was gibt es alles für Gesichtspunkte, was gibt es für historische Vergleiche, was gibt es für Untersuchungen dazu und dann kann ich mich äußern. Aber zu schnell – das finde ich ein Problem.

Meine letzte Frage: Ich frage immer gern die Frage bei Politikern: Was ist eigentlich Macht? Wir haben jetzt gerade so viel darüber geredet. Was ist Macht für dich?

Es gibt zwei Arten, das zu definieren. Es gibt zwei grundsätzliche. Macht ist – in der Tradition von Max Weber – die Fähigkeit, worauf auch immer sie beruht, ob man denken kann, ob man psychisch erpresst, ob man militärisch droht, was auch immer... Macht ist die Möglichkeit, eine andere Person, eine andere Gruppe, eine andere Organisation abzubringen von dem, was sie wollte. Gegenmacht ist das dann. Macht heißt, den eigenen Willen gegen einen anderen Willen durchzusetzen. Das ist die eine Definition. Die andere Definition von Macht, der ich mich näher fühle, ist die von Hannah Arendt. Die sagt, Macht ist das Vermögen, Menschen zusammenzubringen, um ein gemeinsames Projekt voranzubringen. Das ist mein Verständnis von Macht.

Dankeschön, Gesine Schwan. Das war sehr schön.

Bitte.

Anmerkung der Redaktion: Am vergangenen Donnerstag hat Gesine Schwan die Insolvenz der Humboldt-Viadrina School of Governance bekanntgegeben. Sie erklärte in einer Pressemitteilung: "Die derzeit sehr schwierige finanzielle Situation lässt leider keine andere Wahl, als eine Insolvenz zu beantragen. Gleichzeitig bemühen wir uns unermüdlich um den Fortbestand der School." Das Interview mit Tilo Jung fand vor der Bekanntgabe der Insolvenz statt.

Interview: Tilo Jung