Gesundheitsreform Fischer fordert Bürgerversicherung

Die Bürgerversicherung wird kommen - davon ist Vizekanzler Fischer überzeugt. Unterdessen geht die Reformdiskussion munter weiter.

Bundesaußenminister Joschka Fischer hat einen Systemwechsel bei der Finanzierung der Sozialsysteme gefordert. Im Interview mit der "Financial Times Deutschland" sagte der Vizekanzler, er rechne fest damit, dass die Bürgerversicherung kommen wird. Dann müssten nicht mehr nur Arbeitnehmer, sondern alle Bürger Beiträge zur Sozialversicherung zahlen - also auch Beamte und Selbstständige. "Die Koppelung der sozialen Sicherung an die Bruttolöhne ist auf Dauer nicht mehr haltbar", sagte Fischer.

"Stärkere Beteiligung der Pharmaindustrie"

Dies gelte besonders für die Gesundheit. Die jüngste Reform greife zu kurz - unter anderem deshalb, weil FDP und Union mehr Wettbewerb verhindert hätten. Rot-Grün werde dies in einem nächsten Schritt korrigieren: "Wir werden eine stärkere Beteiligung der Pharmaindustrie bekommen. Das Verbot des Mehrfachbesitzes von Apotheken wird gänzlich fallen. Auch mehr Wettbewerb bei den Kassenärztlichen Vereinigungen werden wir durchsetzen", kündigte Fischer an.

Notfalls Beitragssenkung per Gesetz

Die Verhandlungsführer zur Gesundheitsreform, Sozialministerin Ulla Schmidt (SPD) und Horst Seehofer (CSU), wollen unterdessen die Krankenkassen notfalls zu Beitragssenkungen zwingen. In der «Berliner Zeitung» betonte Seehofer, dass die Kassen durch die Gesundheitsreform die Möglichkeit bekämen, sowohl ihre Schulden schrittweise abzubauen, die Rücklagen mittelfristig aufzufüllen als auch die Beiträge zu reduzieren. "Wenn sie den Spielraum für Beitragssenkungen nicht nutzen, dann müssen wir sie dazu zwingen", erklärte der CSU-Politiker. Schmidt sprach in der "Berliner Zeitung" von einem beträchtlichen Potenzial für Beitragssenkungen. Sollten die Kassen die geplanten Einsparungen nicht weitergeben, werde man sie per Gesetz dazu zwingen. "Wir werden das notfalls vorschreiben", betonte Schmidt.

Nach ihren Angaben ist in der kommenden Woche ein Gespräch mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung sowie Spitzen der Krankenkassen geplant. Zweifel der Kassen an der angestrebten Beitragssatzsenkung von 14,4 auf 13,6 Prozent im nächsten Jahr wies sie zurück. Die Sprecher vieler Kassenverbände halten Beitragssenkungen angesichts der großen Defizite für unmöglich.

Kompromiss wird verteidigt

Beide Verhandlungsführer hatten zuvor erneut den vereinbarten Kompromiss verteidigt. Schmidt sagte der dpa, die "breit anlaufende Diskussion" über die von Regierung und Opposition erzielten Eckwerte sei zwar zu begrüßen. "Ich wünsche der Diskussion aber, dass sie künftig von mehr Sachkenntnis getragen ist." Seehofer bezeichnete in der «Augsburger Allgemeinen» die Kritik an dem Kompromiss als das übliche "Neinsagen und die typisch deutsche Nörgelei".

Grüne-Experte bleibt vorsichtig

Die Grünen-Gesundheitspolitikerin Biggi Bender mahnte beim Kompromiss zum Zahnersatz weitere Beratungen an. Sie bezweifelte im "Tagesspiegel", "dass die Privatwirtschaft mit der Lösung glücklich wird". Bender forderte die privaten Krankenversicherungen auf, die bisher erworbenen Ansprüche der Versicherten aus den Bonusheften anzuerkennen. "Das ist das Mindeste", sagte sie dem Blatt.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Rürup verteidigt Kompromiss

Der Vorsitzende der Kommission zur Reform der Sozialsysteme, Bert Rürup, und der Gesundheitsökonom Karl Lauterbach begrüßten unterdessen den Kompromiss von SPD und Union. "Die Gesundheitsreform ist bei allen Schwächen im Detail von außerordentlicher Wichtigkeit", sagte Rürup der "Welt". Lauterbach, Mitglied der Rürup- Kommission, sagte der in Hannover erscheinenden "Neuen Presse": "Hier sind zum ersten Mal wichtige Strukturelemente enthalten. Man sollte diese Keimzellen für mehr Wettbewerb im System nicht zerreden, bevor sie ihre Wirkung entfalten können."

DPA