Krisengespräch im Kanzleramt Impfpflicht rückt näher – Berlins Regierungschef Müller: "Wir werden nicht mehr drumherum kommen"

Eine Mitarbeiterin schaut genau hin, als sie eine Impfspritze aufzieht
Vorbereitung einer Impfspritze: Der Ruf nach einer allgemeinen Impfpflicht wird angesichts der Schwere der aktuellen Corona-Welle immer lauter.
© Kay Nietfeld / DPA
Die Spitzen der Ampel-Parteien beraten am Abend mit der Kanzlerin. Der Ruf wird angesichts der Schwere der aktuellen Coronawelle immer lauter. Eine allgemeine Impfpflicht, bisher stets ausgeschlossen, rückt immer näher.

Was genau die Spitzen der Ampel-Parteien und die amtierende Bundeskanzlerin Angela Merkel am Abend bei einem kurzfristig einberufenen Krisengespräch beraten haben, wurde nicht öffentlich gemacht. Dass es um Corona und eine Impfpflicht gegangen sein dürfte, liegt jedoch auf der Hand. Der besonders vehementen vierten Corona-Welle glaubt man zunehmend nicht mehr ohne die bisher stets ausgeschlossene verpflichtende Immunisierung begegnen zu können. "Ich glaube, wir werden um eine Impfpflicht nicht mehr drumherum kommen", sagte Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller am Dienstag in der RBB-"Abendschau".

"Nur die Impfung sichert dauerhaft ab, dass wir alles so erleben können, wie wir es wollen. Die hohe Anzahl der Ungeimpften verhindert immer wieder diesen Schritt der Normalität", so Müller weiter. Der SPD-Politiker, der eine Impfpflicht bisher stets abgelehnt hatte, sprach von einer schwierigen Abwägung. "Ich bin fest der Überzeugung, es wird zum Schluss immer noch ein paar geben, die alles versuchen, sich der Impfung zu entziehen", sagte er. "Aber ich glaube, es ist nicht mehr tragbar, immer wieder die Geimpften mit zu bestrafen für die Unvernunft der Ungeimpften. Und wir müssen jetzt irgendwann diese Impfquote wirklich so durchsetzen, dass wir alle miteinander sicher leben können."

Volker Bouffier zur Impfpflicht: Zugeben, dass man sich geirrt hat

Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) hatte schon früher am Tag bekräftigt, ohne allgemeine Impfpflicht sei die Pandemie nicht in den Griff zu bekommen. Man müsse in der Lage sein, zuzugeben, dass man sich geirrt habe, sagte Bouffier mit Blick auf die Kehrtwende, die die Einführung der verpflichtenden Immunisierung bedeuten würde. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) äußerte die Hoffnung, eine Impfpflicht könnte auch die Polarisierung der Gesellschaft verringern: Der Staat würde den Konflikt zwischen Impfbefürwortern und -gegnern dann an sich ziehen.

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Schleswig-Holsteins Vize-Ministerpräsidentin Monika Heinold (Grüne) forderte eine Impfpflicht zum Jahreswechsel. Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) warb für eine ergebnisoffene Diskussion. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) sieht in einer solchen Pflicht ein letztes Mittel. Der geschäftsführende Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sagte dagegen im Deutschlandfunk, die Wirkung einer Impfpflicht käme für die vierte Welle zu spät. Als einer der ersten FDP-Spitzenpolitiker zeigte sich NRW-Familienminister Joachim Stamp in der ARD-Sendung "Hart aber fair" offen für eine Impfpflicht: Ein Verfassungsrechtler habe ihn überzeugt. Die Bundestagsfraktion seiner Partei signalisierte zumindest erstmals Bereitschaft, eine beschränkte Impfpflicht mitzutragen. Ein Fraktionssprecher: "Die FDP-Fraktion legt dabei besonderen Wert auf eine zeitliche Begrenzung und eine Einbettung in eine breite Impfkampagne."

Staatsrechtler: Ordnungsgeld, Freiheitsstrafe, Impfzwang – alles möglich

Der Göttinger Staatsrechtler Alexander Thiele stellte fest, zur Umsetzung einer allgemeinen Impfpflicht sei auch ein Zwang zur Impfung denkbar. "Die Möglichkeiten gehen los bei einem Ordnungsgeld, aber auch Freiheitsstrafen oder die Zwangsimpfung sind möglich", sagte Thiele den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Es sei nicht das Ziel einer allgemeinen Impfpflicht, dass reiche Menschen sich aus dem Zwang herauskaufen könnten. "Der Staat ist nicht so wehrlos wie es klingt."

Die Entscheidung, welche Konsequenzen eine Verweigerung der Impfung habe, sei eine politische, sagte der Jurist. Diese Debatte müsse im Parlament geführt werden. "Weil der Verlauf der vierten Welle von einer Impfpflicht nicht abhängt, haben wir auch die nötige Zeit, darüber nachzudenken und das zu debattieren."

Bundeswehr wird wohl als erste Institution Pflicht einführen

Geregelt werden müsse der Pflicht-Piks im Infektionsschutzgesetz. In der aktuellen Lage ist eine solche Pflicht nach Einschätzung von Thiele auch mit dem Grundgesetz vereinbar. "Eine Impfpflicht kann verhindern, dass wir als Gesellschaft jedes Jahr wieder in dieselbe Situation geraten", sagte der Staatsrechtler. "Davon ist das Recht Dritter auf körperliche Unversehrtheit berührt, genauso wie die allgemeine Handlungsfreiheit, die Berufsfreiheit und andere Rechtsgüter." Der Staat habe auch die Verantwortung, dass das gesellschaftliche Leben in Freiheit durchgeführt werden kann. "Die Situation trägt aus meiner Sicht eine allgemeine Impfpflicht."

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Als erste Institution in Deutschland dürfte die Bundeswehr in Kürze eine Corona-Impfpflicht einführen. Wie ein Sprecher des Verteidigungsministeriums am Dienstag bestätigte, verständigte sich die Ministeriumsleitung mit der Personalvertretung darauf, die Schutzimpfung "in den Katalog der duldungspflichtigen Impfungen" aufzunehmen. Dazu ist lediglich ein formaler Verwaltungsakt erforderlich. "Mit einer zeitnahen Umsetzung ist zu rechnen", sagte der Sprecher weiter, da die amtierende Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) sich wiederholt dafür ausgesprochen habe. "Eine vollständige Immunisierung der Soldatinnen und Soldaten ist in unserem gesteigerten Interesse", betonte der Ministeriumssprecher. 

DPA · AFP
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