Ja. Sie bewegen sich. Wie die Wahnsinnigen. Sie rudern und sie wedeln. Sie springen, und sie hüpfen, sie verhandeln sieben Stunden, bis um 2.43 Uhr mitteleuropäischer Zeit und verkünden mit kleinen Äuglein Ergebnisse, Kompromisse. Aber es hilft nichts: Es ist wie die Rennerei auf einem Laufband in jedem x-beliebigen Fitnessstudio dieser Republik. Sie strengen sich an, sie schwitzen, aber die Großkoalitionäre kommen einfach nicht vom Fleck.
So geschehen beim Mindestlohn. Ein paar Zugeständnisse hat die Union gemacht, die Ausweitung des Entsendegesetzes hat sie abgesegnet. Im Kern aber hat sie einen flächendeckenden Mindestlohn verhindert. CDU und CSU brüsten sich nun damit, die Tarifautonomie verteidigt und Arbeitsplätze gesichert zu haben, ihre Klientel juchzt. Für die SPD ist das zunächst eine Schlappe. Dafür kann sie, so Oskars Linke sie lässt, das Thema jetzt in den anstehenden Wahlkämpfe verbraten. "Man muss den Mindestlohn gegen die Union machen", sagt Arbeitsminister Franz Müntefering betont kampfeslustig schon jetzt. Für die Regierung aber bedeutet das: Die Großkoalitionäre laufen, sie schwitzen, aber sie kommen nicht vom Fleck. Für eine große Koalition ist das zu wenig.
Kleine Fortschritte bei der Pflege
Bei der Pflegeversicherung haben sich die Großkoalitionäre dagegen zumindest ein paar Zentimeter bewegt. Die Leistungen der Pflegeversicherung werden ausgeweitet, die Versorgung Demenzkranker verbessert. Künftig sollen Menschen, die ihre Angehörigen pflegen, in den meisten Betrieben auch ein Anrecht auf eine sechsmonatige Pflegezeit haben. Das ist schon was. Bei dem Kernproblem allerdings, nämlich der Reform der Finanzierung der Versicherung, sind die Koalitionäre gescheitert. Einen Kapitalstock, wie im Koalitionsvertrag vorgesehen, wird es nicht geben.
Und ein Umbau der Finanzierung weg von einem Umlagesystem über Beiträge hin zu einer stärkeren Kapitaldeckung gibt es auch nicht. Das hatte die Union gefordert. Die SPD hatte dagegen darauf gedrungen, die privat Versicherten auch in die Finanzierung der gesetzlichen Pflegekassen einzubinden. Auch das ist nicht umgesetzt worden. In der zentralen, in der wichtigsten Frage haben sich Union und SPD so auf den Sankt-Nimmerleinstag vertagt. Sie haben damit die Chance verpasst, die Versicherung demografiefest zu machen. Die Last werden später die nun jüngeren Generationen tragen müssen. Wie gehabt: Die Großkoalitionäre laufen, sie schwitzen, aber sie kommen nicht vom Fleck. Für eine große Koalition ist das zu wenig.
Dem Bündnis ist die Daseinsberechtigung abhanden gekommen
Die mageren Ergebnisse der großen Koalition mögen ein großes Problem für die Wähler sein, für die Koalitionäre selbst sind sie nicht das allergrößte Problem. Deren allergrößtes Problem ist nämlich, dass sie selbst nicht mehr wissen, wozu es die große Koalition eigentlich noch geben soll, wofür dieses Bündnis gut ist, was es erreichen soll. Der Koalitionsvertrag ist abgearbeitet, es gibt keine großen Projekte mehr. Der Koalition fehlt die Daseinsberechtigung. Zudem schließt sich das politische Zeitfenster für große Schritte langsam aber sicher: In Hamburg, in Niedersachsen, in Hessen und dann in Bayern stehen demnächst - also 2008 - Wahlen an. In diesen Zeiten geschieht erfahrungsgemäß nichts mehr Weltbewegendes in Berlin. Und dann, wenn alles bei dem Zeitplan bleibt, biegen die Großkoalitionäre auch schon auf die Zielgerade für die Bundestagswahl 2009 ein. Spätestens zu diesem Zeitpunkt ist die Berliner Eintracht endgültig am Ende. Union und SPD werden die Themen hochkochen, bei denen sie sich jetzt nicht geeinigt haben. Sie werden Stimmung machen für und gegen Mindestlohn, für und gegen diese oder jene Variante der Reform der Finanzierung der Pflege. Und wahrscheinlich kommt auch wieder die Gesundheitsreform auf den Tisch. Alles wie gehabt. Konkret bedeutet das, dass die Koalition von jetzt bis 2009 nicht einmal mehr rennt, nicht einmal mehr schwitzt. Sie trabt langsam auf ihrem Laufband. Im schlimmsten Fall knapp zwei Jahre. Für die Wähler muss das zu wenig sein.