Eigentlich wären mediale Entschuldigungen bei Oskar Lafontaine fällig. Wegen all jener gedruckten Spekulationen und geflüsterten Informationen, in denen er massiv menschlich verdächtigt wurde. Dass er seine Wähler vor der Bundestagswahl getäuscht habe über seine wahren politischen Perspektiven. Dass er mal wieder zurückgestürzt sei in die seelischen Untiefen und Unberechenbarkeiten eines Mannes, dem schon einmal ein Messer in den Hals gerammt worden ist. Andere machten es gnädiger. Fragten lediglich öffentlich nach, ob der Mann, der auf die 70 zugeht, vielleicht doch schon ein wenig zu altersmüde geworden sei, um noch gleichzeitig an der Spitze der Bundestagsfraktion der Linkspartei und in der Führung der Gesamtpartei zu stehen. Und schließlich sei nicht verschwiegen, dass auch eine angebliche private Liaison politisch ausgedeutet wurde, deren wahren Stellenwert die beteiligten Medien leicht hätten ausrecherchieren können. Haben sie nicht.
Denn nichts stimmt in diesem spekulativen, politisch böse fehlgedeuteten Umfeld. Oskar Lafontaine hat Krebs, was in seinem Alter so unwahrscheinlich nicht ist, aber sich dennoch wohl ebenso schwer akzeptieren lässt wie in jüngeren Jahren. Das ist in Kopf und Seele des betroffenen Menschen schwer zu ertragen. Egal, wie die ärztlichen Prognosen im speziellen Fall lauten.
Ein medialer Skandal
Im Fall Lafontaine kamen die speziellen Belastungen hinzu, die wir Medien durch fahrlässige Glaskugelleserei zu verantworten haben. Zum Beispiel: Lafontaine habe sich im Saarland nur deshalb um ein Abgeordnetenmandat und das Amt des Ministerpräsidenten beworben, um sich mit einer guten Ausrede aus Berlin verabschieden zu können. Und am Ende all dieser Spekulationen stand dann immer wieder das böse Gerücht, zu all dem sei er von seiner Frau gezwungen worden. Im Kern stand immer die Spekulation, all dies habe letztlich keine politischen, sondern nur persönliche Gründe.
Hier liegt auch das Zentrum des medialen Skandals um Oskar Lafontaine. Es war nicht so, dass die Fakten hinter den Spekulationen wie ein Staatsgeheimnis gehütet wurden. Wer es genauer wissen wollte, konnte es erfahren. Einige Interpreten waren daran jedoch überhaupt nicht interessiert. Jene, die einst den SPD-Finanzminister Lafontaine noch als den "gefährlichsten Mann Europas" niedergemacht haben, die Gerhard Schröder hochleben und Lafontaine fallen ließen, handelten jetzt einmal mehr nach dieser Methode.
Der Mensch Lafontaine
Es gibt viele sachliche Gründe, politisch gegen die Linkspartei zu argumentieren. Motive, eine zweite Hasskampagne gegen Lafontaine zu inszenieren, rechtfertigen sich damit nicht. Dahinter steckt die nicht akzeptable Absicht, ein ungeliebtes politisches Projekt insgesamt abzuschießen. Eine Art Liebesdienst für die SPD. Das zeugt von einem menschlich erbärmlich niedrigen Niveau und hat mit der demokratischen Wächterfunktion der Medien nichts zu tun. Muss das Oskar Lafontaine verantworten, weil er zu lange geschwiegen hat, wie es wirklich um ihn steht? Nein. Er verdient unser Mitleid in einem rücksichtlosen medialen Umfeld und unsere Sympathie. Dem Menschen Lafontaine wünschen wir viel Glück am kommenden Donnerstag, dem Tag seiner Operation.