stern-Reportage aus dem Lageso Abstieg in die Berliner Behördenhölle

  • von Silke Müller
Es ist das Hauptquartier einer Nicht-Willkommenskultur: das Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales in Berlin, die zentrale Aufnahmestelle für Asylsuchende. Wie menschenverachtend die Lage dort ist, zeigen diese stern-Recherchen.

Mehr als 68.000 Flüchtlinge sind dieses Jahr in Berlin angekommen. Nach dem Königssteiner Schlüssel aufgenommen wurden 47.813. Um die 15.000 sollen unregistriert durch die Stadt ziehen. Alle haben mehrfach am Landesamt für Gesundheit und Soziales (LaGeSo) angestanden oder müssen es immer noch. Dort befindet sich die Zentrale Aufnahme- und Leistungsstelle für Asylbewerber. Asylsuchende müssen sich hier registrieren lassen, sie werden von hier aus in Notunterkünfte eingeteilt und müssen monatlich erneut vorsprechen, um Kostenübernahmen für Unterkünfte, das pauschale Handgeld oder auch nur einen Krankenschein zu bekommen. Manche stehen 20 oder 30 Tage an, ohne vorgelassen zu werden. Niemand versteht bis heute, nach welchem System die Behörde die Menschen empfängt und ihre Anliegen bearbeitet.

Rechte werden mit Füßen getreten

Auf dem weitläufigen Gelände des LaGeSo werden jeden Tag die Grundregeln unserer Gesellschaft mit Füßen getreten. Dass Menschen ein Recht auf Unversehrtheit, ein Dach über den Kopf, etwas zu Essen, Gesundheitsversorgung und nicht zuletzt Respekt und Würde haben, scheint hier nicht mehr zu gelten. Das Gesetz wird hier von privaten Security-Kräften repräsentiert, die auf Behördengrund Hausrecht ausüben, Asylsuchende abweisen, sie anbrüllen, handgreiflich werden.

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Mit versteckter Kamera im Lageso-Chaos

Nachts verwandelt sich die Turmstraße 21, dieses Hauptquartier der Nicht-Willkommens-Kultur in einen bösen, einen gefährlichen Ort. Wenn es dunkel wird, leert sich das unübersichtliche Gelände, das einst ein Krankenhaus beherbergte. Nur wenige Lampen werfen Lichtinseln in die Finsternis, aus den Schatten der Bäume und Häuser lösen sich in Decken, Tücher und Mützen gehüllte Gestalten. Die Dezemberkälte und Feuchtigkeit frisst sich binnen Minuten durch die Kleidung.

Hier kämpfen Menschen um ihre nackte Existenz. Sie drängeln in die letzten Busse, die in Notunterkünfte fahren oder rangeln um einen Lagerplatz an der Hauswand. Kinder kauern unter Plastikplanen.

Wer seine Flucht nicht auf die Dienstzeiten deutscher Behörden abzustimmen vermag, steht spätestens ab 16 Uhr auf der Straße. Es gibt keine Informationen, keine Ansprechpartner, noch nicht einmal die Öffnungszeiten sind irgendwo angeschlagen. Wer hinein darf, bestimmt die Security. Mal gibt es für Neuankömmlinge Zutritt zu einem beheizten Aufenthaltszelt, mal bleiben sie draußen. Über Nacht. Männer, Frauen, Kinder. Junge, Alte, Kranke.

Flüchtlinge rennen um ihr Leben. Hier, in Deutschland

Spätestens ab 1 Uhr bildet sich eine Schlange auf dem Bürgersteig vor der Turmstraße 21. In Decken und Schlafsäcke gehüllt kauern Flüchtende an einer Hauswand, um sich einen Platz weit vorn zu sichern. Ihre Hoffnung: Wenn sie zu den ersten gehören, die sich morgens um vier Uhr im Wartezelt vor dem Behördenhochhaus anstellen, gehören sie vielleicht zu den 200 Menschen, deren Fälle im Amt bearbeitet werden. Wenn die Wachleute die Tore öffnen, rennen sie wieder einmal um ihr Leben. Hier, in Deutschland, in Berlin, in Moabit.

Täglich finden die vielen freiwilligen Helfer, ohne die hier schon lange alles zusammengebrochen wäre, eine neue, ungeklärte Situation vor. "Das Image Berlins ist im freien Fall", konstatiert Bundestags-Vizepräsidentin Claudia Roth, Grüne. Doch es geht um mehr als ein Image. Es geht um Menschen.

Wenn Sie helfen wollen:

Konto: Deutsche Bank, Stichwort "Flüchtlinge"

IBAN DE20 2007 0000 0469 9500 00
BIC/SWIFT-Code DEUTDEHH


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 Das LaGeSo ist der innerste Höllenkreis der deutschen Flüchtlingskrise. Jede freundliche Geste, jede Handreichung eines Freiwilligen wird konterkariert durch die bürokratische Verschleppung und Verschleierung des Registrierungsprozesses. Aus der Behörde heißt es, man sei halt kaputtgespart worden. Es fehle an Personal. Doch offensichtlich fehlt es an viel mehr. Vom RBB befragt, äußerten sich einige LaGeSo-Mitarbeiter desillusioniert über ihre Arbeitssituation: keine Führung, kein Konzept, Berge von Papierakten, Überarbeitung und Burnout.

Um die Verwaltungskrise in den Griff zu bekommen, schlug Berlins Sozialsenator Mario Czaja, CDU, die Gründung einer neuen Flüchtlingsbehörde vor. Im Februar solle sie ihre Arbeit beginnen, so der Senator. Ausgeschlossen, konterte die Verwaltung, vor Juli sei der Aufbau einer neuen Behörde nicht zu schaffen. Eine Besserung der untragbaren Situation am LaGeSo ist also nicht in Sicht.