25 Jahre Deutsche Einheit "Die Wiedervereinigung war meine große Chance"

  • von Silke Müller
Nguyen Thi Ha kam in die DDR, verliebte sich und blieb dann in Deutschland. Mittlerweile ist sie mit ihrem Laden "Ha Beauty Nails Supply" europaweit erfolgreich. Ein Einblick in die vietnamesische Welt des Bling Bling.

Sie herrscht über ein Imperium aus Fläschchen, Dosen und Pinseln, Feilen, Klebebildchen und Glitzersteinen. Alles leuchtet, glänzt und strahlt. Und am meisten strahlt Nguyen Thi Ha, 55. Gerade ist sie zurück von einer Kosmetikmesse in Hongkong, sie hat die neuesten Trends und Verzierungen mitgebracht, die der Markt für Maniküre bietet.

Ihre Kundinnen stöbern verzückt in den Regalreihen, die mittlerweile drei Ladeneinheiten im Berliner "Dong Xuan Center" belegen – jenem riesigen vietnamesischen Einkaufzentrum, dass einen Teil des Bezirks Lichtenberg in "Little Hanoi" verwandelt hat. Und wenn Frau Nguyen eine neue Lackiertechnik vorführt, bitten die Käuferinnen um ein Selfie mit ihr.

Hals über Kopf nach Deutschland

Rund 1500 Nagelstudios beliefert Nguyen allein in Deutschland, ein Webshop soll den internationalen Handel erleichtern. Darum kümmert sich Tochter Le Quynh, 21, neben ihrem Studium der Wirtschaftskommunikation. "Ha Beauty Nails Supply" expandiert.

Als Frau Nguyen das erste Mal nach Deutschland kam, reiste sie in die DDR. Und verliebte sich in einen Vietnamesen. Sie schmiss ihr Biochemie-Studium in Russland, heiratete und eröffnete mit ihrem Mann ein Textilgeschäft. Das Paar bekam zwei Töchter, die Ehe ging zu Bruch, der Mann zog zurück nach Vietnam. Und Frau Nguyen, eine klassische Tiger-Mom, packte der Ehrgeiz. 2006 eröffnete sie in Lichtenberg ihren Großhandel.

Die vernetzte Vietnam-Community

Rund 24.000 Vietnamesen leben offiziell in Berlin. Sie kamen als Boatpeople aus Südvietnam nach West-Berlin und als Vertragsarbeiter aus dem kommunistischen Norden des Landes nach Ost-Berlin. Dort, im Bezirk Lichtenberg, haben sich die Nordvietnamesen eine eng vernetzte Community aufgebaut. Ihr unsicherer Aufenthaltsstatus nach der Wende zwang sie in die Selbstständigkeit, denn nur wer Arbeit hatte, durfte bleiben.

"Wir müssen uns anstrengen, auf's Gymnasium gehen, uns herausheben, statt in der Masse unterzugehen", erzählt Nguyens Tochter Le Quynh. "Unsere Mutter lenkte uns von Anfang an in die Selbstständigkeit. Wir wollen keine Hilfe, keine Zuschüsse vom Staat, das war ihr immer extrem wichtig." Leicht war das nicht, das gibt Le gern zu. "Unsere Mutter ist sehr autoritär und kann aufbrausend sein, es ging nicht immer ruhig zu. Aber wenn man älter wird, lernt man, das zu verstehen. Es hat uns viel gebracht." Auch ihre 16-jährige Schwester hilft nach der Schule oder am Wochenende im Laden. "Wir sind im Dong Xuan Center aufgewachsen", sagt Le.

Die vietnamesische Kultur in Berlin

Damit die vietnamesische Kultur und Identität nicht im großen Berliner Allerlei untergeht, besteht Nguyen bis heute darauf, dass daheim alle vietnamesisch reden. Sie selbst spricht nur ein paar Worte Deutsch. Dem Mondkalender folgend, hegt und pflegt sie den üppig mit Buddha-Figuren, Goldgefäßen, Blumen und Speisen bestückten Hausaltar in einer Ecke des Ladens. Und als Ehepartner für ihre Töchter sähe sie am liebsten – Vietnamesen.

Deutschland ist ihr zur Heimat geworden, Lichtenbergs Vietnam-Community zum Zuhause. "Die Wiedervereinigung war meine große Chance", sagt Nguyen, "und ich dachte, wenn ich die nicht nutze, welche dann?"

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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