Strahlende Kinderaugen sahen mich an, als Jürgen Möllemann über seine Frau Carola sprach: Liebe - und großer Respekt sprachen aus ihm. Mit den Worten über seine Töchter legte sich ein Weichzeichner über seine Züge. Für eine Weile schien er faltenlos, als ob die tiefen Gefühle für seine Familie die Kampfnarben aus seinem Gesicht fortgezaubert hätten. Der Mensch Jürgen Möllemann sah sein wirkliches Glück.
Es war im vergangenen Dezember,
als wir etliche Tage zusammensaßen. Was in seinem Buch "Klartext" stehen sollte und was nicht: Darum ging es. Doch in der Tiefe seines Herzens beschäftigte Jürgen, wie alles angefangen und wie das bis zum Hier und Heute geführt hatte, führen konnte. Wir fingen an, Freunde zu werden.
Natürlich redeten wir auch über Politiker der FDP. Was Jürgen wurmte, war, was ich, der schon seit vielen Jahren mehr und mehr Abstand zur FDP gewann, ihm vorher gesagt hatte. Nämlich wie die Oberen mit ihm umgehen würden, sobald er ihnen den Anlass lieferte. Dass dazu auch Genscher zählte, wollte er erst recht nicht glauben. Ja, Jürgen Möllemann hing an seiner Partei. Sie war seine politische Heimat. An der Theke, im Stadion, beim Volksfest traf er seine Leute. Nicht an der Champagnerbar. Über seine Erlebnisse mit diesen Menschen hätte er manches Buch schreiben können. Der FDP-Führung hätte er nie mehr eine Zeile gewidmet.
Eine neue Partei?
Wir mussten nicht streiten. Eine Partei kann nur gründen, wer ein Thema hat. Ein Thema, das vielen Menschen unter den Nägeln brennt. Eines, das die alten Parteien nicht aufgreifen oder nicht entschieden genug. Eine Möllemann-Partei hätte zu Beginn viel Zulauf. Das war klar. Klar war auch, dass sie viel Zulauf von Leuten hätte, die Jürgen auf keinen Fall wollte - die von extremen Rändern. Viele Medien bedienen dieses Kampfbild über Jürgens Tod hinaus. Keine Minute traf es zu. Der garantierte Zulauf politischer Spinner und Querulanten aus den alten Parteien war ihm der zweite Graus. Mit solchen Leuten als Ballast - wie sollte da die Partei werden können, die ihm spätestens seit dem Projekt 18 vorschwebte? Die wirklich liberale Partei "für alle im Volk"? Wer sagt, Jürgen Möllemann habe politische Inhalte durch Show ersetzt, hat keinen annähernd fairen Blick auf sein politisches Leben geworfen. Er hat ihm nie zugehört, nicht sein Buch "Klartext" gelesen. Oft sind es dieselben, die dieses falsche Bild zeichnen, weil sie selbst lieber über Events und Action schreiben als über Inhalte. Denn für Letzteres braucht es Bildung, Fleiß und Verstand.

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Jürgen Möllemann sah es klar: Eine neue Partei ohne "ihr" Thema hätte zum Leben zu wenig. So wie die alte FDP, die auch kein Thema hat, zum Sterben zu viel hat. Ohne Thema geht es nicht, doch man kann es nicht "backen". Es ist da oder nicht. Für den Moment war das Schreiben des Buches die beste Therapie. Mister tausend Volt hatte wegen seines Herzens auf Niedervolt umschalten müssen. Das schadete seinem politischen Herzen. In jenen Dezembertagen fingen die beiden Herzen an, ihre Beziehungen zu entspannen.
Erstmals sprachen wir über ein Projekt,
das bis zu Jürgens Weggang aus dieser Welt immer mehr Gestalt annahm. "The Bridge Foundation" sollte den "Dialog der Kulturen" zu ihrer Aufgabe machen. Zuerst in Deutschland, dann in Europa. Jürgen Möllemann war mit Personen aus den drei verwandtesten Religionen im Gespräch: der christlichen, der jüdischen, der islamischen. Er selbst strebte in einer solchen Stiftung nach keinem Amt. Er wollte, wie stets, etwas tun, nicht nur etwas sein. Seine bösesten Feinde und ihre Mitläufer behaupten über Jürgens Tod hinaus, er sei antisemitisch oder antiisraelisch oder beides gewesen. Er war es nicht.
Dienstag vergangener Woche telefonierten wir und verabredeten uns für Donnerstag. Das Wetter verschob seinen Absprung von Mittwoch auf Donnerstag. Ich glaube nicht an den Freitod, den viele leichtfertig in die Welt setzten, obwohl sie über keinerlei seriöse, stichhaltige Information verfügten. Nie wieder werden wir uns begegnen. Jene Tage mit Jürgen Möllemann, dem Mann mit dem warmen Herzen, werden in meinem bleiben. Für die kalten Herzen in der FDP, die Jürgen schon umzingelt hatten, als wir noch nicht Freunde waren, bleiben nicht einmal der Zorn und die Verachtung von heute.