In den Urlaub zu fahren, ist für Spitzenpolitiker eine heikle Angelegenheit. Denn statt Erholung zu bekommen, kostet es manche den Job. Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping wurde 2002 unter anderem deshalb gefeuert, weil er sich mit seiner neuen Lebensgefährtin planschend auf Mallorca in einem Pool ablichten ließ, während die ihm anvertraute Bundeswehr kurz vor einem Auslandseinsatz stand.
Entlassen hat ihn der damalige Kanzler Gerhard Schröder, der heute vermutlich froh wäre, wenn Poolfotos das einzige wären, was man ihm vorwerfen könnte. Aber das ist eine andere Geschichte.
Der Grünen-Politikerin Anne Spiegel wurde zum Verhängnis, dass sie sich zehn Tage nach der verheerenden Ahrtalflut in den vierwöchigen Familienurlaub verabschiedete. Dafür geriet sie so unter Druck, dass sie schließlich ihr Amt aufgeben musste – auch wenn sie zu dem Zeitpunkt längst nicht mehr Landesumweltministerin sondern schon seit vier Monaten Bundesfamilienministerin war.
Aktuell sieht sich Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) Urlaubs-Vorwürfen ausgesetzt. Die "Bild" hatte sie in Sommerkleid und Sandalen auf Mallorca abgelichtet und daraus die Schlagzeile gemacht: "Flip-Flop-Faeser: Deutschland geht den Bach runter – Faeser geht baden." Für die nach ihrem misslungenen Hessen-Wahlkampf angezählte Ministerin dürfte das die Situation nicht einfacher machen.
Der Trick von Merkels Sprechers
Angela Merkels früherer Regierungssprecher Steffen Seibert hatte solche Gefahren im Blick. Wann immer er von Journalisten danach gefragt wurde, wo denn die Kanzlerin ihren Urlaub zu verbringen gedächte, antwortete er: "Sie wissen doch, die Kanzlerin ist NIE im Urlaub." Wenn dann doch Bilder von Angela Merkel im Wanderoutfit in Südtirol oder im Badeanzug auf Ischia auftauchten, dann wirkte das immer, als habe sich die Kanzlerin nur mühselig ein paar kurze Stunden der Auszeit abgerungen.
Aus strategischer Sicht mag das ein gelungener Trick sein, die Grundfrage lässt er aber unbeantwortet: Dürfen Spitzenpolitiker Urlaub machen? Oder erfordert die immense Verantwortung, die sie tragen, nicht einen (zumindest temporären) Verzicht auf solche Formen der Freizeit?
Natürlich sollen Politiker auch Urlaub machen! Sie müssen es sogar. Auch wenn viele von ihnen eine robustere Konstitution haben als der Durchschnittsbürger, so sind sie keine Maschinen. Auch sie brauchen Erholung, um ihre Aufgaben so gut wie möglich zu erfüllen. Studien zeigen, dass Menschen mit dauerhaft hohem Stress und wenig Schlaf in der Qualität ihrer Arbeit nachlassen. Urlaubende Politiker sollten daher in unserem ureigenstem Interesse sein.

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick
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Es gibt eine Faustformel
Allerdings spielt auch die Symbolik in der Politik eine enorm wichtige Rolle. Und hier gilt die Faustformel: je angespannter eine Lage, umso weniger der Moment für Urlaub. Weil es die Botschaft vermittelt, dass sich da einer nicht kümmert. Oder dass man eigentlich auch ganz gut auf ihn oder sie verzichten kann.
So nachvollziehbar es sein mag, dass Faeser nach der (selbst gewählten) Doppelbelastung des Ministeramts und des Hessen-Wahlkampfes dringend eine Auszeit brauchte, so unglücklich ist, dass sie diese gerade jetzt nimmt. Nach den Hamas-Anschlägen in Israel herrscht auch in Deutschland erhöhte Terrorgefahr. Islamisten versuchen, antisemitischen Hass auf deutsche Straßen zu tragen, Juden und Jüdinnen erhalten Morddrohungen, jüdische Einrichtungen werden angegriffen. Nebenbei schwelt noch das Flüchtlingsthema.
Das alles fällt in jenes Ressort, für das Faeser zuständig ist. Wenn sie in solchen Zeiten in den Ferien weilt, entsteht schnell der Eindruck, sie interessiere sich nicht genug oder habe vielleicht auch nicht mehr die Kompetenz dafür.
Im Zweifel lieber verzichten oder verschieben
Das mag alles falsch sein. Aber es zeigt: Spitzenpolitiker brauchen einen guten Instinkt, wann sie sich etwas leisten können, was für andere Menschen normal ist. Im Zweifelsfall sollten sie lieber verzichten oder verschieben, wenn sie keinen Vertrauensverlust risikieren wollen. Dann klappt’s auch mit dem unbeschwerten Urlaub.