Olaf-Scholz-Interview "Mindestlohn gehört zur Marktwirtschaft"

  • von Hans Peter Schütz
Der Aufschwung in Deutschland ist bei vielen Bürgern nicht im Portemonnaie angekommen, sagt Arbeitsminister Olaf Scholz. Im stern erklärt er, warum unsere Gesellschaft nicht gerecht ist und weshalb Mindestlöhne zur modernen Marktwirtschaft dazugehören.

Als "Scholzomat" ist er gerne verspottet worden, als er zu Gerhard Schröders Zeiten wie ein Sprechautomat dessen auch in der SPD ungeliebte Agenda 2010 verteidigte. Jetzt als Arbeitsminister wird Olaf Scholz "MiMi-Minister" genannt. Denn sein zentrales Thema ist die Einführung von Mindestlöhnen. Im stern-Interview gab er auf die Frage, "Ist unsere Gesellschaft noch gerecht" eine einsilbig eindeutige Antwort: "Nein." Mit Mindestlöhnen will er sie gerechter machen. Das ist eine Kampfansage an die Adresse der Kanzlerin.

Für Scholz sprechen viele Argumente für Mindestlöhne, für die er 7,50 Euro als Orientierungsmarke nennt. Für ihn gelten in dieser Diskussion zwei Grundsätze: "Jeder der innerhalb einer bestimmten Zeit keine Arbeit auf seinem bisherigen Niveau findet, muss bereit sein, eine andere Arbeit anzunehmen. Niemand sollte jedoch einen Lohn bekommen, von dem er allein nicht leben kann." Das ist bei vielen Menschen inzwischen der Fall. Die Zahl der so genannten "Aufstocker" beträgt rund 1,3 Millionen, wobei dabei allerdings auch Mini-Jobber eingerechnet sind; die Zahl der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Arbeitnehmer unter den Aufstockern beträgt knapp 750.000.

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CDU lehnt Mindestlohn bisher ab

Nicht gerecht ist die Gesellschaft von heute, so Scholz, weil "der wirtschaftliche Aufschwung der letzten Jahre bei vielen im Portemonnaie nicht angekommen ist." Der Arbeitsminister stellt sich hinter die Forderung, dass auf dem Arbeitsmarkt von heute eine hohe Mobilität notwendig ist. Daher brauche man auch Mindestlöhne. All diejenigen, die sich aktiv um Arbeit bemühten, "haben dann aber auch einen Anspruch auf einen ordentlich bezahlten Job. Sie dürfen nicht ausgebeutet werden."

Der gesetzliche Mindestlohn für die gesamte deutsche Wirtschaft wird allerdings vom Koalitionspartner CDU/CSU bisher strikt abgelehnt. Die Große Koalition hat sich bisher nur darauf verständigt, dass die Tarifparteien einzelner Branchen die Einführung von Mindestlöhnen über das so genannte Entsendegesetz beantragen können. Dort, wo es kaum Tarifverträge gibt, soll es künftig über das Mindestarbeitsbedingungsgesetz Lohnuntergrenzen geben, die von einer unabhängigen Kommission festgesetzt werden. Zurzeit werden 1,8 Millionen Menschen nach vereinbarten Mindestlöhnen bezahlt.

"Mindestlöhne gehören zu einer modernen Marktwirtschaft"

Allerdings bahnt sich in der Koalition ein erneuter Streit über die Mindestlöhne an, weil nicht festgelegt ist, welche Branchen Mindestlöhne bekommen sollen. Bundeskanzlerin Angela hat sich jetzt auf dem CSU-Parteitag in Nürnberg darauf festgelegt, dass zum Beispiel die Zeitarbeitsbranche keine allgemeine verbindliche Lohnuntergrenze per Entsendegesetz bekommen soll. In dieser Branche werden immerhin 630.000 Arbeitnehmer beschäftigt. Die SPD nennt die Festlegung Merkels eine "schwere Belastung für die Koalition". Denn Merkel habe doch soeben dem Entwurf zum Arbeitnehmer-Entsendegesetz im Kabinett zugestimmt. Der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion, Ludwig Stiegler, sagte: "Die Kanzlerin ist offenbar nicht Herrin ihrer Entscheidungen, sondern vielmehr ferngesteuert vom Wirtschaftsflügel der Union." Falls die Union den Mindestlohn für die Zeitarbeitsbranche blockiere, werde das im Wahlkampf von der SPD zum Thema gemacht.

Der Arbeitsminister weist die Behauptung zahlreicher Experten zurück, dass Mindestlöhne Arbeitsplätze vernichten würden. "Alle Professoren, die in den Talkshows den Verlust von Hunderttausenden von Arbeitsplätzen prophezeien, werden irgendwann ganz still sein." Sein Standpunkt in dieser Diskussion: "Mindestlöhne gehören zu einer modernen Marktwirtschaft."

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Jeder soll seinen Hauptschulabschluss nachholen können

Weil nicht jeder, der aufsteigen wolle, es aus der Sicht von Scholz nicht schafft, will der Arbeitsminister die Aufstiegschancen vergrößern. 500.000 Langzeitarbeitslose haben keinen Schulabschluss. Sein Vorschlag: "Jeder soll das Recht erhalten, seinen Hauptschulabschluss nachholen zu können." Das würde die Chancen vieler Betroffener auf dem Arbeitsmarkt noch einmal deutlich verbessern. Scholz stellt sich sogar vor, dass jeder sogar das Recht erhält, einen weitergehenden Schulabschluss nachholen zu können. Allerdings setzten derartige Reformen im Bildungsbereich das Mitziehen der Bundesländer voraus.

Zur Linkspartei zog Scholz in diesem Zusammenhang eine scharfe Trennlinie: "Die Linkspartei verspricht, was den Betroffenen nicht hilft: Anstrengung ist nicht nötig, Geld gibt es auch so. Sie will die Misere nur erträglich machen." Die SPD strebe dagegen an, dass sich die Menschen aus der Misere befreien können.