Er sprüht Leder", mokierte sich der pointenverliebte Kritiker Alfred Kerr über seinen nicht direkt brillanten Konkurrenten Herbert Ihering. Der wiederum kannte und schätzte das junge Genie Brecht; von dem man unter anderem lernen kann: "Scharfes Denken ist schmerzhaft, der vernünftige Mensch vermeidet es, wo er kann." Peer Steinbrück ist ein vernünftiger Mensch. Wenn die Annahme stimmt, Sprache sei Denken, dann ist bei diesem Politiker großartig zu beobachten, dass er zwar kess, aber nicht konkret formuliert. Schon die Selbstlob-Litanei von der "klaren Kante" lässt ja jeden Sprachempfind¬lichen fragen, ob es auch eine "unklare Kante" gibt.
Doch Steinbrücks verbale Pappe verbiegt sich wie der Amazon-Karton, der zu lange im Regen vor der Haustür stand. Wie diesen kann man dessen Formulierungen hin und her biegen. Bei seiner volksnahen Werbetournee im April 2013 fragte ein Schüler ihn nach den Grenzen der Toleranz, ob er, Steinbrück, es in Ordnung fände, wenn ein muslimischer Vater getrennten Sportunterricht für Jungen und Mädchen einfordere. Die Antwort war reiner Karl Kraus: "Wenn Schulen das einrichten können, sollten sie es machen. Aber da denkt vielleicht jeder anders." Zu derlei Zungen-Hokuspokus sagte der Wiener Aphoristiker: "Wer nichts zu sagen hat, der trete vor und schweige."
Doch unser Tausendsassa verkindlicht sich stattdessen. Denn nicht einmal einen wirksamen Werbeslogan konnte dieser Mann – "Ich will Kanzler werden" – selbst entwerfen. Den grammatikalisch hinkenden Satz "Das Wir entscheidet" lieh er sich, lieh seine Partei sich – ausgerechnet – von einer Leiharbeitsfirma . Auf eine Journalistenfrage, ob man nicht hätte recherchieren müssen, öffnete sich der Kindermund: "Hätte, hätte, Fahrradkette!" Eene meene muh, und raus bist du ... Das ist die Infantilisierung des Politischen.
Es hat aber auch keiner dieser Trotz-buben darüber nachgedacht, ob "das Wir", wahrlich eine rhetorische Glanzleistung, überhaupt stilistisch möglich ist. "Das Uns?" Zumindest holpert es – immer hinein in die verwüstete Werbesprache, die den Kunden meist duzt; wie wäre es mit einem "Dein Wir" statt "Dein Bier"? "Wir machen jetzt nur noch Neues", verkündet der Filmschauspieler Christoph Waltz. Es ist der Pluralis majestatis – gewiss nicht der Pluralis modestiae. So erinnert man sich schließlich auch an des Kandidaten Antwort auf die Frage, ob er denn seine Partei repräsentiere: "Ich bin Peer Steinbrück." Das wusste man zwar, aber gut zu wissen ist dann doch, dass er "Ich" meint, wenn er "Wir" sagt.
Statt Lösungen eine wedelnde Binse in der Hand
Es ist ein Jammer mit unseren Politikern. Schon Franz Münteferings "Das ist neben Papst das schönste Amt", als er SPD-Vorsitzender wurde, bestach ja durch seine Holprigkeit. Auch die "nach oben hin offene Zuwendungsskala", von der Minister de Maizière radebrecht, macht Freude. Peer Steinbrück mit seinem hohlen Bläh-Deutsch jedoch ist der Klassenbeste. Er weiß, dass "Finanzmittel der Höhe nach und der Struktur nach nicht mit diesen Zielen (der Merkel-Politik) korrespondieren"; dass eine "Wahrheit" den deutschen Steuerzahlern "auf die Füße fällt"; der auf die Füße fallenden Wahrheit folgt dann, Frauen sollen eine "eigene Berufsbiografie schreiben", und ein Mann, der ehemalige Finanzminister der Bundesregierung, nämlich Peer Steinbrück, hat für das kaum zu lösende Problem der Finanzkrise in der 140. Sitzung des Deutschen Bundestages zwar keine Lösung parat, aber eine wedelnde Binse in der Hand: "Jede Übertreibung, jeder Exzess, jede Maßlosigkeit schafft sich eine Gegenbewegung."
Da wissen wir doch, woran wir sind. Peer Steinbrück schubst seine Ansprachen, Statements, Interventionen wie einen Reden-Rollator mit diskret eingebautem Maserati-Motor vor sich her, im Einkaufskörbchen keinen Aldi-Wein, sondern Roederer-Cristal, versteckt unter Kraut und Rüben: Widerspruchseinlassungen für das Volk; für das fordert der Sendungsbewusste nun etwa jenen allgemeinen Mindestlohn, den er sich noch vor wenigen Jahren "schwer vorstellen" konnte. Die weggewischte Moderatorenfrage zu einer eventuellen Mehrwertsteuererhöhung, "Aber wo wollen Sie denn das Geld herholen?", weiß er mit klarer Kante zu parieren: "Das ergibt sich aus den Vorrangigkeiten und vor allem Nachrangigkeiten." Steinbrücks sozialdemokratischer Weihrauch ist kalter Schaum. Bismarck nannte derlei eine "Phrasen-Gießkanne".
Ein zutiefst verunsicherter Mann
Für kritische Intellektuelle sind seine Interviews eine so ergiebige Fundgrube, dass etwa der bissige Satiriker Henning Venske ganze Abende damit bestreiten könnte. Die Sprachbilder, die Steinbrück verwendet, reihen sich zu einer ellenlangen Kette unechter Perlen: "Ich habe Bilder gebraucht, die manche in den falschen Hals gekriegt haben"; bei seiner Lektüre erfreue ihn vor allem in den Büchern ein "abgespeckter Fußnotensalat". Hat man nun die Bilder aus dem Hals und den Speck aus dem Salat, folgt sogleich der zweite Streich. Was etwa ist "die Breite der Bevölkerung"? Wo und wann ist diese schmal? Auch "Frau -Merkel liegt in der Furche" ist vieldeutige, fast schon anzügliche Rhetorik: In welcher Furche mag die Kanzlerin liegen? Und immer so fort.
In einem Gespräch mit dem "Spiegel" sagte er: "Die Tonlage eines kleinen Hundes, der einem an die Beinkleider geht, kommt bei vielen Wählerinnen und Wählern nicht an." Hier erkennt man zwei rhetorische Modelle Steinbrücks: völlig unangebrachte, pausbäckige Siegesgewissheit; also einen intellektuellen Pseudostatus. Und einen Anbiederungsstatus an vermutete Sprachschemata des sogenannten kleinen Mannes, vulgo: des erhofften SPD-Wählers.
Ich habe hier nicht die politischen Inhalte der vielen Statements von Peer Steinbrück zu interpretieren, noch seine –if so – ökonomische Kompetenz zu beurteilen. Mein Interesse gilt den Stilfiguren, die sich offenbar seiner eigenen Kontrolle entziehen, dem falschen Deutsch – stets "sicher", wo es "sicherlich" heißen müsste, stets "das gleiche", wo es "dasselbe" heißen müsste – und seinem Pampigkeitstenor; was alles -zusammen einen zutiefst verunsicherten Mann offenbart.
Er schlägt viele Haken, begreift sich als überlegen
Der Mann hatte ja auch nie einen regulären Beruf. Er war Soldat auf Zeit, studierte und war danach immer Berufspolitiker. So hat er nichts gelernt als "Brust raus, Augen geradeaus" – egal, wie sehr im Nebel verschwindend das Ziel sein mag. 2009 meinte er noch: "Ich habe nicht die Qualitäten dafür" (gemeint war: das Amt des Bundeskanzlers). Jetzt, wahrlich überzeugend: "Ich will." Aber man kann so manches wollen. Ich will auch Klavier spielen wie Horowitz. Und wenn es rätselhafterweise bisher nicht so recht klappte: An mir kann es doch nicht liegen? Am dummen Publikum – Wähler genannt – muss es liegen.
Nun hält Steinbrück seine potenziellen Wähler gewisslich nicht für dumm; zumindest sind derartige Wertungen bei ihm nicht zu finden. Er schlägt nur viele Haken. Er begreift sich als überlegen. Er findet sogar manch andere Politik ganz ordentlich. Immer wieder rutscht seine Redeweise in die Pose "Ich bin offen, biedere mich aber nicht an. Ich rede auch im Alltag so, wie mir der Schnabel gewachsen ist". Genau damit, mit solchen Marktplatzformulierungen, biedert er sich aber an, meint, "die alleinerziehende Mutter" so gut zu verstehen, dass auch sie ihn verstehen muss – auch seine horrenden Honorare; nichts Unrechtes, aber nicht gerade volksnah. Vom Volk aber hebt er sich im selben Moment ab, gar heraus aus der eigentlich profanen, opportunistischen Menge: "Ich sage, was ich denke, und ich tue, was ich sage. Das ist mein Gegenentwurf zu Politikern, die oft nur so reden, wie es opportun ist."
Eigenlob, wie man weiß, riecht nicht gut. "Außen Marmor, innen Gips", sagte Brecht einmal über einen ihm unliebsamen Dichterkollegen. So steckt sich in allen überprüfbaren Äußerungen Peer Steinbrück den Lorbeer der Bescheidenheit selbst ins Haar, während er zugleich auf das schwankende Podest der Erhabenheit klettert, das so schütter ist wie seine Grammatik. Seine Worte sind flink. Das berühmte Wiesel jedoch ist nicht sehr stetig.
Mit Unbehagen höre ich das Geräusch eines Blasebalgs; der aber füllt nur eine Blase mit Luft. So fühlt man sich ob solch geradlinig-eherner Konkretheit erinnert an die klassische Antwort des weiland Schah Reza Pahlavi; befragt, ob er den Ölpreis erhöhen oder senken wolle, sagte er: "Nein."