Hans-Martin Tillack Erde doch keine Scheibe?

Das deutsche Informationsfreiheitsgesetz ist gut fünf Jahre alt, aber die meisten Bürger haben davon wahrscheinlich noch nie gehört.

Dabei ist das IFG, wie es abgekürzt heißt, ein Gesetz, das Bürgern mehr Rechte gegenüber dem Staat verschafft. Sie haben nun prinzipiell die Möglichkeit, Einsicht in Akten zu nehmen, die die Behörden verwalten – und bei denen unsere Bürokratiefürsten bisher so taten, als seien die Dokumente ihr Besitz. Obwohl doch die Unterlagen in unserem Namen erstellt und verwaltet werden. Weil wir ja in keinem Fürstentum mehr leben, sondern in einer Demokratie.

Jetzt will eine neue Website das IFG populärer machen: fragdenstaat.de. Sie bietet eine simple Eingabemaske an, über die Bürger ihre Anfragen an die verschiedenen Ministerien stellen können. „Frag den Staat“ - das mag etwas altväterlich klingen. Aber das Prinzip des Projektes, unterstützt auch von den Journalistenverbänden und von Transparency International, ist gut.

In Ländern mit mehr Tradition in Sachen Informationsfreiheit wäre ein derartiger Service nicht nötig. In den USA etwa, wo seit 1966 der Freedom of Information Act in Kraft ist, genügt es auf die Homepages der Ministerien oder auch von Behörden wie der CIA zu gehen – von dort wird man direkt zu einer Seite geleitet, auf der man Anfragen per Mausklick loswerden kann. Bei den Bundesbehörden ist das noch nicht Standard. Abgesehen von wenigen löblichen Ausnahmen – etwa dem Auswärtigen Amt – finden sich auf den Webseiten deutscher Ministerien kaum mal Hinweise auf das IFG, und wenn doch, dann sehr gut versteckt. Motto: Bürgerrechte schön und gut, aber noch lieber haben wir es, wenn sie keiner in Anspruch nimmt.

Leider scheint es bis heute so, als nähmen wir Deutsche gerne klaglos hin, dass unsere Politiker und Behörden vergleichsweise intransparent agieren. Große vermeintlich liberale Zeitungen wie die „Zeit“ schwangen sich noch vor ein paar Monaten sogar zu enthusiastischen Verteidigungsreden pro Staatsgeheimnis auf – damals, als Wikileaks einige tausend bis dahin geheime US-Depeschen publik machte. Da klang es bei einigen Kommentatoren so, als seien Staatsgeheimnisse in Deutschland eine bedrohte Spezies, die des besonderen Schutzes bedürfe. Dabei fällt das deutsche IFG vor allem dadurch auf, dass es im internationalen Vergleich eher bürgerunfreundlich ist.

Dabei können Informationsfreiheitsgesetze aus Sicht etwa der OSZE eine regelrechte “kopernikanische Wende” im Verhältnis zwischen Journalisten und der Obrigkeit bringen. Also so wie damals, als die Menschen erkannten, dass sich die Erde um die Sonne dreht, nicht umgekehrt. Doch in Deutschland arbeiten wir uns – metaphorisch gesprochen - gerade erst an die Erkenntnis heran, dass die Erde doch keine Scheibe ist.

Die Tatsache, dass die Informationsrechte der Bürger hierzulande so viel schwächer ausgeprägt sind als in Ländern wie Großbritannien oder den USA haben Experten gelegentlich damit erklärt, dass das Staatsgeheimnis in unserer Republik nie wirklich als solches zum Skandal wurde. Und wir darum bis heute die hiesige Bürokratie als Mittelpunkt unseres gesellschaftlichen Universums akzeptieren.

Das mag stimmen. Jüngst konnte konnte man kurzzeitig hoffen, dass die Debatte um den Panzerdeal mit Saudi-Arabien einen Wendepunkt bringt. Es war Anfang Juli, als plötzlich CDU-Fraktionschef Volker Kauder öffentlich rechtfertigen musste, warum der Bundessicherheitsrat in geheimer Sitzung Beschlüsse von hoher Tragweite treffen durfte. Und Kauder machte dabei keine gute Figur. Noch weniger tat das Philipp Rösler, der als 38-Jähriger doch angeblich frischen Wind in die FDP bringen wollte und nun trotzdem die „Koalition der Geheimniskrämer“ (Spiegel) tapfer mit trug. Die FDP – keine Bürgerrechtslobby, sondern eine Staatspartei.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Doch die Aufregung über die Unverfrorenheit, mit der die Bundesregierung hier selbst den Abgeordneten des Bundestages Auskünfte verweigerte, hat sich rasch wieder gelegt. Auch „Frag den Staat“ wird vielleicht noch keine kopernikanische Wende bringen. Aber die Initiative hilft, die Erkenntnis zu verbreiten, dass es die Behördenarbeit ist, die sich um den Bürger zu drehen hat. Und nicht umgekehrt der Bürger um die Behörde.