Seit über einem Jahr sollten wir Bürger eigentlich wissen, welche Nebeneinkünfte unsere Bundestagsabgeordneten kassieren. Das sagt das Gesetz. Aber der Bundestagspräsident sagt etwas anderes. Und zwar bis heute. Bei der Lektüre einiger Schlagzeilen kann man heute den Eindruck gewinnen, Parlamentspräsident Norbert Lammert (CDU) wolle die Nebeneinkünfte nun doch publik machen. Aber das ist ein irreführender Eindruck.
Denn der Christdemokrat weigert sich weiter stur, das geltende Abgeordnetenrecht vollständig anzuwenden und publik zu machen, was die Parlamentsmitglieder nebenher so verdienen. Die Veröffentlichungspflicht gilt übrigens nicht im Detail, sondern in Stufen: Ob also ein Abgeordneter neben der Diät pro Monat gar nichts dazu verdient - oder aber zwischen 1000 und 3500 Euro, bis zu 7000 oder gar über 7000 Euro.
Das verlangen das Abgeordnetengesetz und die Verhaltensregeln des Bundestages. Lammert will das nicht. Seine Begründung: Noch habe das Bundesverfassungsgericht nicht über die Klage von neun Abgeordneten - darunter Friedrich Merz von der CDU - entschieden, die gegen die Veröffentlichungspflicht vor das Bundesverfassungsgericht gezogen sind.
Das Verhalten des Bundestagspräsidenten war immer schon merkwürdig. Denn die Klage der Neun hatte keinerlei aufschiebende Wirkung. Das Gesetz war und ist in Kraft - so wie jeder Bürger seine Steuern ja auch dann zu zahlen hat, wenn er Zweifel an der Rechtmäßigkeit der zugrunde liegenden Gesetze hat. Und Gesetzesverächter Lammert ist kein lichtscheuer Ganove, sondern Präsident der obersten Gesetzgebungsinstanz des Landes. Wie will er den Bürgern erklären, dass sie die vom Bundestag beschlossenen Regeln beachten sollen - während es für die Abgeordneten selbst schon mal Ausnahmen geben darf?
Wohl wahr, Lammert war bei der Bundestagsabstimmung 2005 gegen die Veröffentlichungspflicht. Aber Mehrheit ist Mehrheit. Demokratie gilt auch dann, wenn man verliert.
Gestern hat der Präsident immerhin angekündigt, wenigstens einen Teil des von ihm so standhaft boykottierten Gesetzes jetzt doch einzuhalten und die Tätigkeiten selbst öffentlich zu nennen.
Diese Pflicht gibt es freilich seit vielen Jahren - wenn auch der Betrag, ab dem die Meldepflicht gilt, 2005 auf 1000 Euro pro Monat abgesenkt wurde. Lammert ist dafür verantwortlich, dass wir seit über einem Jahr weniger Transparenz haben als selbst Anfang 2005 - als Skandale um Nebentätigkeiten wie die des Grünen-Politikers Ludger Volmer Wellen schlugen und zu Versprechen von mehr Bürgernähe führten. Doch über die Nebentätigkeiten der Ende 2005 neu gewählten Abgeordneten wissen die Bürger bis heute offiziell nichts - weil der Parlamentspräsident die Veröffentlichung selbst dieser Angaben bisher blockiert.
Lammert hatte die Transparenz ausgesetzt, weil er ein rasches Urteil aus Karlsruhe erwartet hatte. Das kommt aber nicht. Glaubt man Zeitungsberichten, dann gibt es unter den acht Richtern ein Patt. Vier finden das Gesetz verfassungskonform, vier nicht. Das heisst eigentlich, dass die Beschwerde abgelehnt werden muss. Wie könnten es sich Richter anmaßen, ein demokratisch beschlossenes Gesetz zu blockieren, wenn sie in ihren eigenen Reihen keinen Konsens über seine Unzulässigkeit finden können?

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Ausgerechnet diesen Richterstreit benutzen nun Lammerts Verteidiger als Argument, die Veröffentlichungspflicht weiter auszusetzen. Das Abgeordnetengesetz betreffe ja nicht den Bürger, sondern nur 614 Parlamentarier, heißt es im Reichstag entschuldigend.
Irrtum, Herr Präsident. Dieses Gesetz betrifft alle Bürger. Sie enthalten ihnen wichtige Informationen über die von ihnen gewählten Volksvertreter vor. Und geben ein denkbar schlechtes demokratisches Beispiel.