Bis zuletzt hatte sie für ihre Partei gearbeitet. Regine Hildebrandt warb trotz ihrer Krebserkrankung noch im Berliner Wahlkampf für die SPD, erst in der vergangenen Woche wurde sie auf dem Nürnberger Parteitag mit den meisten Stimmen wieder in den SPD-Bundesvorstand gewählt. »Ich will mein Leben nicht völlig verändern nach dem Motto: Jetzt habe ich Krebs, jetzt ist mein Leben ein ganz anderes geworden. Wissen Sie, dann ist es nicht mehr mein Leben«, sagte sie schon Anfang des Jahres. In der Nacht zum vergangenen Dienstag ist dieses Leben zu Ende gegangen. Im Alter von 60 Jahren hat die frühere Brandenburger Sozialministerin ihren Kampf gegen den Brustkrebs verloren.
Sie hielt ein Plädoyer für die aktive Sterbehilfe
Auf den Umgang mit dieser Krankheit hatte Hildebrandt ihr Engagement in ihren letzten Lebensjahren gelenkt. Sie wollte anderen Frauen in ähnlicher Situation Mut zusprechen. Sie trat in Talkshows auf und gab Interviews zu ihrer Krankheit. Mit ihrem Plädoyer für eine aktive Sterbehilfe löste sie eine neue Debatte über dieses Thema aus. So blieb es nicht lange verborgen, dass sie im Dezember 2000 einen Rückfall erlitten hatte. Trotz einer kräftezehrenden Chemotherapie lud sie am 26. April zu einem großen Empfang anlässlich ihres 60. Geburtstages ein.
»Ich wäre nie auf die Idee gekommen, mein Schicksal für unerträglich zu halten«
Resignation über ihr Schicksal ließ sich die promovierte Biologin zumindest öffentlich nicht anmerken. »Ich habe mich nie gefragt, wieso passiert das jetzt gerade mir und wieso ausgerechnet diese furchtbare Krankheit«, sagte sie einige Monate nach der ersten Krebsdiagnose 1997.
Als Ministerin für Arbeit und Soziales in Brandenburg habe sie während ihrer Besuche in Krankenhäusern, Altenpflegeheimen und Behinderteneinrichtungen viel Elend gesehen. »Da wäre ich nie auf die Idee gekommen, mein Schicksal für unerträglich zu halten.«
Sie entwickelte Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen
Im November 1990 hatte Regine Hildebrandt ihr Regierungsamt in der Mark übernommen. Zuvor bereits war sie in gleicher Funktion in der letzten DDR-Regierung unter Ministerpräsident Lothar de Maiziere tätig. Sie entwickelte das Instrument der Arbeitsbeschaffungs- und Strukturanpassungsmaßnahmen mit. Nachdem in den neuen Ländern zur Wiedervereinigung die Industrie weitgehend zusammengebrochen war, boten diese staatlichen Förderprogramme zeitweise neue Jobs für die zahlreichen Arbeitslosen. Lieber ABM-Stellen zu finanzieren als Sozialhilfe zu zahlen, war ein Credo der Ministerin.
Ihr eigentliche Arbeitsraum war der voll gestopfte Dienstwagen
Um sich von der Wirksamkeit dieser Politik zu überzeugen und Probleme zeitig zu erkennen, war sie auch während ihrer Amtszeit fast täglich im Land unterwegs. Zwar hatte sie ein Arbeitszimmer im Potsdamer Ministerium, ihr eigentlicher Dienstraum aber war der mit Aktenordnern und Klebezetteln voll gestopfte Dienstwagen. Das trug auch dazu bei, dass sie nie den Kontakt zu den einfachen Menschen verlor. Den sozial Benachteiligten unter ihnen galt ihr ganzes Engagement. Auch wegen ihrer verständlichen Sprache wurde sie zu einer der beliebtesten Politikerinnen Deutschlands.
Nachdem sie 1999 aus der Landesregierung ausgetreten war, weil sie die große Koalition zwischen SPD und CDU nicht mittragen wollte, setzte Hildebrandt ihre Arbeit auf der Parteiebene fort. Als Mitglied des SPD-Präsidiums und des Forums Ostdeutschland bezog die von vielen einfach »Regine« Genannte ein Büro in der Berliner Parteizentrale. Vom Willy-Brandt-Haus aus koordinierte sie ihre Auftritte, mit denen sie auf sächsischen Marktplätzen genauso für eine soziale Politik der SPD warb wie in rheinland-pfälzischen Sälen. Ihre laute Stimme und die schnelle, temperamentvolle Stimme waren schon lange zuvor zu Markenzeichen geworden.
Sie war »Brücke zwischen Ost und West«
Nur ungern hörte sie die Bezeichnung »Mutter Courage des Ostens«, denn sie wollte mit ihrem sozialen Engagement für die Ostdeutschen Verständnis für deren Situation auch im Westen erreichen. »Sie war eine Brücke zwischen Ost und West«, sagte ihr langjährige politischer Weggefährte, der Brandenburger Ministerpräsident Manfred Stolpe. Auf einer Reise in China erfuhr der SPD-Politiker vom Tod seiner Weggefährtin, mit der ihn auch ein enges persönliches Verhältnis verband. »Es war wie ein Schlag, der mich traf«, sagte er am Dienstag.