Politik ist immer auch Unterhaltung. Das mag eine Binse sein, aber vielleicht muss man manchmal daran erinnern, welche Gewissheiten die Zeitenwende noch nicht abgeräumt hat. Also: Politik ist Show, Inszenierung, und ja, im besten Fall auch – Überraschung!
Wer wüsste das besser als Christian Lindner? Der Mann, der die FDP mit den Tricks eines Werbeprofis aus der Versenkung geführt hat. Der seine One-Man-Show so lange perfektionierte, bis er den Vorwurf nicht mehr hören konnte, die FDP sei doch nur eine One-Man-Show. Einer, der seit Schülertagen regelmäßig einen raushaut: "Probleme sind nur dornige Chancen."
Dieser Christian Lindner also – seit zweieinhalb Jahren Finanzminister einer auf ihre Art durchaus unterhaltsamen Ampel-Koalition – langweilt zurzeit sein Publikum. Ja, Lindner langweilt. Er wiederholt sich. Das ist die neue Kommunikationsstrategie im Haushaltsstreit mit SPD und Grünen. Und vermutlich genau die richtige. Sie funktioniert sogar im Ausland, mehrsprachig.
IWF-Tagung – und die Krise reist mit
Dienstagabend, Washington, District of Columbia. Um 22:40 Uhr Ortszeit landet der Regierungsflieger auf dem Dulles International Airport. Zweieinhalb Tage wird Lindner in der US-Hauptstadt verbringen, an der Frühjahrstagung des Internationalen Währungsfonds (IWF) teilnehmen und Amtskollegen aus aller Welt treffen. Auch mit Kongressabgeordneten von Republikanern und Demokraten will er sprechen.
Die Klassiker-Geschichte von solchen Minister-Reisen zum IWF, zu G20 oder G7 geht so: Lindner fliegt nach Washington – und die Krise fliegt mit. Dieser Dreh passte schon bei vorherigen Bundesregierungen häufig. Und er funktioniert in der Ampel umso besser, weil diese Koalition keine Zeit ohne Krise kennt. Manchmal ist dieser Spin der Faulheit von Journalisten geschuldet. Warum auch mit den Krisen der Welt befassen, wenn daheim die Kindergrundsicherung wackelt?
Bei Lindner allerding passt derzeit kein Dreh besser als der Klassiker. Daher noch einmal kurz zurück nach Deutschland.
Dienstagmittag, Berlin-Mitte. Wenige Stunden vor dem Abflug in die USA steht Lindner auf einem Podest im Atrium der FDP-Zentrale. Seine Partei hat zu einem Wirtschaftskongress geladen. Gekommen sind Chefs von Dax-Konzernen, Familienunternehmerinnen und Gewerkschaftsbosse. Hier sind sich alle einig: Die deutsche Wirtschaft hat ein Problem. Die Ampel muss Reformen liefern.

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"Wir glauben nicht, dass die Klage des Kaufmanns Lied ist", sagt Lindner. Über die Klagen der Kaufmänner hatte kürzlich der Kanzler geklagt. Olaf Scholz findet, dass die Wirtschaftslage schlecht geredet wird. Lindner sagt: "Ich habe gelegentlich den Eindruck, dass die Dringlichkeit nicht allen klar ist."
Der Dreiklang der "Wirtschaftswende"
Der Finanzminister hat einen Plan. Mit einer "Wirtschaftswende" will er das Land vor der Rezession retten. Und seine FDP auf den Erfolgspfad zurückführen. Geht’s der Wirtschaft gut, geht’s den Liberalen gut. So einfach könnte das sein.
Noch aber ist nicht klar, ob sie kommt, diese "Wirtschaftswende". Die Verhandlungen mit SPD und Grünen laufen, parallel dazu die Aufstellung des Haushalts 2025. Bis Anfang Juli will man sich einigen. Aber worauf?
Beim Wirtschaftskongress seiner Partei wiederholt Lindner den Dreiklang, mit dem er derzeit auf Tour ist. "Wirtschaftswende", das bedeute: Arbeitsmarkt reformieren, Bürokratie abbauen, Steuern senken. In Standort-Rankings sei Deutschland in zehn Jahren von Platz 6 auf 22 gefallen. Die letzte Unternehmenssteuerreform habe es 2008 gegeben.
Ein Christian Lindner braucht keine IWF-Tagung, um Argumente für seine Vorschläge zu sammeln.
"Mitten im Fluss": Christian Lindner zitiert Lincoln
Mittwochvormittag, Washington. Lindner sitzt auf einem Podium beim "World Economy Summit", noch so ein Wirtschaftskongress. "Germany needs a momentum for structural reforms”, sagt er. Lindners Englisch klingt werri Dschörmän. Aber die Fachbegriffe sitzen. Strukturreformen, klar. Dann kommt der Dreiklang. Arbeitsmarkt, Bürokratieabbau, Steuern. Es folgt der Abstieg im Standort-Ranking. Und wann war die letzte Unternehmenssteuerreform? Richtig, 2008.
Vielleicht hilft bei all dem Streit in der Ampel tatsächlich nur noch absolute Erwartbarkeit: Jeder Routine wohnt ein Zauber inne – und vielleicht sogar ein neuer Anfang. Politische Botschaften verfangen erst, wenn sie dem Botschafter zum Hals rauskommen. Stay on message, first!
In einer Zeit, in der Wirtschaftsbosse über politische Unsicherheit klagen, ist wohl Berechenbarkeit das einzige Lied, das der Kaufmann hören will.
Donnerstagvormittag, noch immer Washington. Im Keller des Fairmont-Hotels hat Lindner mit Bundesbankpräsident Joachim Nagel zur Pressekonferenz geladen. Sie beginnen mit den Weltkrisen, Inflation, Zinsen. "Wir fokussieren uns auf strukturelle Reformen", sagt Lindner irgendwann, logisch. Es folgt der Dreiklang.
Ein wenig später, es geht um die nächste Amtszeit der IWF-Präsidentin, zitiert Lindner Abraham Lincoln: "Mitten im Fluss soll man nicht die Pferde wechseln." Schöner kann man auch seine aktuellen Auftritte kaum beschreiben. Obwohl dieser Satz wiederum spontan kam – ja, fast: überraschend.