Vertrauensfrage Die wichtigsten Fragen und Antworten

1. Muss es eine Neuwahl geben, wenn der Bundestag am Freitag dem Bundeskanzler nicht das Vertrauen ausspricht?

Nein. Die Beantwortung der Vertrauensfrage ist nur der erste Schritt. Letztlich liegt die Entscheidung über eine Neuwahl allein im Ermessen des Bundespräsidenten. Der Artikel 68 des Grundgesetzes spricht lediglich davon, dass das Staatsoberhaupt den Bundestag auf Vorschlag des Kanzlers auflösen "kann", wenn die Vertrauensfrage negativ beantwortet worden ist. Die Entscheidung des Staatsoberhaupts kann außerdem vom Verfassungsgericht überprüft werden.

2. Was hat der Bundespräsident zu beachten?

Nach dem Wortlaut des Artikels 68 hat der Bundespräsident bei seiner Entscheidung freie Hand. Das Verfassungsgericht hat aber zusätzliche Hürden errichtet

3. Muss sich der Bundespräsident dem Wunsch aller großen Parteien nach einer Neuwahl beugen?

Nein. In seinem grundlegenden Urteil zur Auflösung des Bundestags 1983 hat das Bundesverfassungsgericht dies allein nicht als Rechtfertigung für eine Auflösung des Bundestags angesehen. Eine "solche Einigkeit" der Parteien sei «allein unzureichend", heißt es dem Urteil. Grund ist, dass das Grundgesetz zuerst die politische Stabilität im Auge hat und der Verkürzung einer Legislaturperiode sehr zurückhaltend gegenübersteht.

4. Wie muss der Bundespräsident mit der Tatsache umgehen, dass der Bundeskanzler die Vertrauensfrage mit der Absicht stellt, die Abstimmung zu verlieren, um zu einer Neuwahl zu kommen?

Die Verfassung schließt diese Variante nicht aus. Der Kanzler kann nicht nur das Vertrauen anstreben, sondern auch das Gegenteil. Das haben schon die Väter und Mütter des Grundgesetzes bedacht. Völlig unstreitig ist in der Rechtswissenschaft zum Beispiel, dass Willy Brandt 1972 angesichts der Spannungen in der Koalition die Vertrauensfrage stellen durfte, um zu einer Neuwahl zu kommen.

5. Welche ungeschriebenen Voraussetzungen muss der Bundeskanzler aber bei der Vertrauensfrage beachten?

Das Verfassungsgericht schreibt vor, dass der Bundeskanzler das Verfahren nur dann anstrengen darf, "wenn es politisch für ihn nicht mehr gewährleistet ist, mit den im Bundestag bestehenden Kräfteverhältnissen weiter zu regieren. Die politischen Kräfteverhältnisse im Bundestag müssen seine Handlungsfähigkeit so beeinträchtigen oder lähmen, dass er eine vom stetigen Vertrauen der Mehrheit getragene Politik nicht sinnvoll zu verfolgen vermag."

Daraus folgt, dass das zunächst von SPD-Chef Franz Müntefering vorgetragene Argument, die Neuwahl müsse kommen, um die gegenseitige Blockade von Bundestag und Bundesrat zu beenden, zumindest nach dem 1983er Urteil verfassungsrechtlich unhaltbar ist. Der Bundeskanzler wird am Freitag konkret auf die Lage der Koalition eingehen müssen. Er muss also Hinweise auf eine echte Krise innerhalb seiner Partei oder im Bündnis geben. Dies dürfte ihm aber nicht so leicht fallen, weil die Koalition allein in dieser Legislaturperiode 29 Mal die Kanzlermehrheit gebracht hat. Schröder könnte aber auch darauf setzen, dass der Bundespräsident und gegebenenfalls auch das Verfassungsgericht dieses Mal die unterschiedlichen Kräfteverhältnisse zwischen Bundestag und Bundesrat ins Kalkül ziehen.

6. Kann der Bundespräsident die politische Einschätzung des Bundeskanzlers überprüfen?

Ja, aber nur eingeschränkt. Zunächst muss der Bundeskanzler vortragen, warum er der Ansicht ist, nicht weiter regieren zu können. Das hat Schröder noch nicht getan. Die Erklärung soll am Freitag folgen.

Die Beurteilung des Kanzlers kann der Bundespräsident nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts nicht durch eine eigene Einschätzung der politischen Lage ersetzen. In dem Urteil heißt es: "Kommt der Bundeskanzler zu der Auffassung, dass seine politischen Gestaltungsmöglichkeiten (...) erschöpft sind, so kann der Bundespräsident nicht seine eigene Beurteilung der politischen Gegebenheiten an die Stelle der Auffassung des Bundeskanzler setzen." Er muss die Beurteilung des Bundeskanzlers hinnehmen, wenn eine andere Einschätzung, so das Gericht, "nicht eindeutig vorgezogen werden" muss.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Nach dem 83er Urteil darf Horst Köhler also durchaus fragen, ob die Argumentation des Bundeskanzlers plausibel ist. Ob das Staatsoberhaupt diese Kontrolle rechtmäßig vorgenommen hat, wird im Fall einer Klage auch das Bundesverfassungsgericht überprüfen. Im Fall von 1983 setzte sich das Gericht intensiv mit der Lage in der schwarz-gelben Koalition auseinander, nachdem Helmut Kohl zunächst per konstruktivem Misstrauensvotum zum Kanzler gewählt wurde.

7. Kommt es auf das Abstimmungsverhalten im Bundestag an?

Dazu hat das Bundesverfassungsgericht überraschenderweise nichts gesagt. Dennoch könnte es für den Bundespräsidenten und später auch möglicherweise für das Gericht interessant sein, wie viel Stimmen Gerhard Schröder aus den eigenen Reihen bekommen hat. Das verfassungsrechtliche Gewicht des Abstimmungsergebnisses könnte aber darunter leiden, dass von Seiten der SPD-Fraktionsführung zuletzt versucht wurde, die SPD-Parlamentarier zu einer Enthaltung zu bewegen. Zudem konterkarierte Fraktionschef Müntefering dies noch mit den Worten, man könne Schröder auch das Vertrauen aussprechen, "in dem man sich der Stimme enthält".

8. Welchen Ermessensspielraum hat der Bundespräsident?

Das Staatsoberhaupt könnte auch dann, wenn er die Argumentation Schröders für plausibel hält, von einer Auflösungsentscheidung absehen. In der jetzigen Situation könnte er sich aber bei der Ausübung des Ermessens durchaus von dem allgemeinen Wunsch nach einer Neuwahl leiten lassen.

9. Ist die Abstimmung am Freitag geheim?

Im Bundestag muss offen abgestimmt werden. Es geht nicht um eine Wahl, sondern nur um einen Antrag. Allerdings ist schon eine namentliche Abstimmung vereinbart.

10. Wer legt den Wahltermin fest?

Der Bundespräsident. Die Neuwahl muss nach einer Auflösung des Parlaments binnen 60 Tagen erfolgen.

DPA
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