ZDF-Chefredakteur Brender Gewalt wurde nicht inszeniert

Wurden Hamburger Schüler bezahlt, um für einen "ZDF.reporter"-Beitrag Gewaltszenen zu spielen? stern.de sprach mit ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender - und der verantwortlichen Produzentin des Beitrags.

Der Vorwurf, den das "Hamburger Abendblatt" in einem Artikel ausbreitete, wog schwer: Angeblich hatte eine Autorin des Magazins "ZDF.reporter" Hamburger Schüler dafür bezahlt, sich vor der Kamera zu prügeln. Das jedoch bestreiten sowohl das ZDF als auch die verantwortliche Produzentin Nicola Graef. Es seien zwar Aufwandsentschädigungen geflossen, aber "mit dem Geld wurde nichts Szenisches geleistet", so ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender im Gespräch mit stern.de. Von Seiten der betroffenen Gesamtschule Mümmelsmannsberg war trotz mehrfacher Anfragen niemand für eine Stellungnahme erreichbar.

"Spontane Gewalt"

Der strittige Beitrag lief am vergangenen Mittwoch in "ZDF.reporter". Er schildert die Jugendszene in dem sozial schwachen Hamburger Stadtteil Mümmelmannsberg, darunter auch eine Szene, in der die Schüler brutal aufeinander losgehen. "Wie aggressiv die Stimmung ist, zeigen diese Bilder", heißt es im Off-Kommentar dazu. "Die Gewalt ist oft spontan und unkontrolliert."

Nach Recherchen des "Hamburger Abendblatts" sollen diese Szenen zum Teil gestellt gewesen sein. Ein namentlich nicht genannter Schüler berichtete der Zeitung über die Dreharbeiten: "Die haben uns richtig gekauft. Erst haben Sie gesagt, sie wollten viel Positives über den Stadtteil sagen, dann wollten sie Action sehen. Wir sollten so tun, als würden wir uns prügeln und Drogen kaufen. Ich habe das so gemacht, wie die das haben wollten." Dafür habe er 250 Euro bekommen. Auch Klaus Reinsch, Schulleiter der Gesamtschule Mümmelmannsberg, auf die einige der Jugendliche gehen, vertrat im "Abendblatt" diese Position. Er warf dem ZDF "unseriösen Journalismus" vor und behielt sich vor, den Presserat einzuschalten. Die Schüler seien durch "finanzielle Anreize" dazu angehalten worden, Straftaten zu begehen.

Schulleiter beschwerte sich

Tatsächlich ist Geld geflossen - die Autorin Barbara Bessler zahlte nach Angaben ihrer Produktionsfirma Lona Media dem Anführer der Jugendgang 200 Euro und einem Aussteiger 100 Euro Aufwandsentschädigung. Solche Honorare sind, wenn Akteure investigative Informationen preisgeben oder sich für aufwändige Dreharbeiten zur Verfügung stellen, in der Branche üblich. Gleichwohl findet Chefredakteur Brender das Vorgehen der Autorin kritikwürdig: "Sie hat in diesem Fall einen Fehler gemacht. An Jugendliche wird kein Geld ausbezahlt." Kurz nach Ostern wolle er die kleineren Produktionsfirmen zusammenrufen, die für ZDF-Informationsformate arbeiten, um ihnen diese Position zu erläutern.

Auf den Inhalt des Beitrags sollen die Zahlungen jedoch keinen Einfluss gehabt haben. "Davon kann auch nicht annähernd die Rede sein", sagte die verantwortliche Produzentin Nicola Graef zu stern.de. Die Gewalttätigkeit der Jugendlichen sei authentisch: "Das ist dort Usus und Alltag." Nach Graefs Angaben hat die Autorin in zwei Fällen sogar Schlägereien verhindert, eine Situation sei auf Film dokumentiert. Die Aussage des im Hamburger Abendblatts zitierten Schülers sei "bar jeder Realität", der Leiter der Gesamtschule Mümmelmannsberg habe ihr - noch bevor er den Beitrag überhaupt gesehen habe - "tendenziöse Berichterstattung" vorgeworfen. Laut Graef gebe es im Rahmen der derzeitigen Berichterstattung über Gewalt an der Schule eine Neigung zur "Selbstrechtfertigung".

Indirekt bestätigt werden Graefs Aussagen durch einen Bericht der "Bild"-Zeitung vom Donnerstag. Das Blatt zitiert aus einem anonymen Schreiben, das offenbar ein Lehrer der Gesamtschule Mümmelmannsberg an die Redaktion geschickt hatte. Darin beklagt der Schreiber die unhaltbaren Zustände in der Schule. Auszug: "A. hat einem Schüler mutwillig vor laufender Kamera bzw. Handy das Nasenbein zertrümmert. Die Aufnahme sollte ins Internet gestellt werden. A. wurde der Schule verwiesen." Die Schulleitung wollte zu diesen Vorwürfen gegenüber der "Bild" keine Stellung nehmen.

Keine Konsequenzen für Lona Media

Für Lona Media hat die Debatte um den ZDF.reporter-Beitrag vorerst keine Konsequenzen. Zwar habe das Image des ZDF Schaden genommen, so Chefredakteur Brender, aber: "Die Firma hat einen sehr guten Ruf". Er sehe keine Gründe, sich von der Produktionsgesellschaft zu trennen. Zu den Formaten, die Lona Media bedient, gehören die Reportage-Reihe "37 Grad" (ZDF) und "Menschen hautnah" (WDR), beide gelten als öffentlich-rechtliche Bastionen für soliden Journalismus.