Kleine Männer haben ein Problem. Es beginnt bei 1,75 Meter abwärts. Das ist so etwas wie die Einstiegsmarke für Verhaltensauffälligkeit, ein Grenzgang der Psychologie. Bei 1,72 Meter wird die rote Linie überschritten. Bei 1,70 Meter betritt der kleine Mann die Kampfzone der Selbstbehauptung durch Großmäuligkeit. Bei 1,68 Meter, der Normalgröße von Frauen, wird daraus eine Nahkampfzone – Mann gegen Mann. Bei 1,65 Meter beginnt der Einsatz psychologischer Massenvernichtungswaffen. Der Bonsai-Mann wird für die Mitmenschen, sofern er sich nicht in sein Schicksal fügt und übersehen lässt bis zum Ende seiner Tage, zum aufgeklappten Rasiermesser. Die Engländer haben dafür einen herrlichen Ausdruck: Pain in the ass. Wer das nicht auf Anhieb versteht, möge bitte im Wörterbuch nachschlagen. Paaren sich die seelischen Verbiegungen körperlichen Kleinwuchses mit den speziellen Kampftechniken des sozialen Aufstiegs, ist der Träger dieser Eigenschaften für die Welt, mitunter sogar für die Weltgeschichte, einfach nicht mehr zu übersehen. Um es vorsichtig zu formulieren. Gerhard Schröder misst 1,74 Meter und hat einen in der deutschen Politik einmaligen Aufstieg aus sozialer Randlage absolviert - welchen Druck das aufbauen kann, war am Wahlabend 2005 auf dem Fernsehschirm zu beobachten, als er sein Ventil ein wenig öffnete.
Nicolas Sarkozy, der kleinste politische Führer Frankreichs aller Zeiten, bringt es auf 1,65 Meter – und einen formidablen Aufstieg hat er auch noch hingelegt. So gesehen übertrifft er schon am Beginn seiner Präsidentschaft den größten Kleinen der französischen Geschichte, Napoleon. Der maß drei Zentimeter mehr und stellte die Welt auf den Kopf, von Kairo bis Moskau. Nicolas Sarkozy, der kleine Präsident, hat also ein großes Problem.
Und Angela Merkel hat ein Problem mit ihm. Nicht alleine deshalb, weil sie drei Zentimeter größer ist als er. Männer in der Politik sind ohnehin eine Herausforderung für die Frau aus dem Osten, sofern sie – und das ist die Regel – Männlichkeit für naturgegebene Überlegenheit halten. Die Strecke jener, die ihren Irrtum zu spät erkannten und sich in Rückenlage wiederfanden, ist legendär. Sie beginnt bei Helmut Kohl und endet – vorläufig! – bei Günther Oettinger. Männer vom Schlage Sarkozys aber sind Angela Merkel ein Grauen. Sie brauchte ihn nur einmal zu beriechen, um zu wissen, was sie von ihm zu halten hatte. Denn wie das Veilchen, das besonders betörend duften muss, um als Blümchen Bewunderung zu finden, filtert der zwergenwüchsige Nicolas Sarkozy alle Eigenschaften, die als männlich gelten, zu einer so streng riechenden Essenz, dass es die psychologischen Schleimhäute Angela Merkels schier verätzt. Wenn der Testosteron-Kanzler Gerhard Schröder schon als political animal galt – instinktgeleitet, auftrumpfend, mitunter brutal –, dann ist Nicolas Sarkozy der Über-Schröder, ein Raubtier geradezu. Hypermacho, Frauenheld, aggressiv, sprunghaft, laut und mafios rücksichtslos. Es ist, als wäre Friedrich Merz, Merkels Erzfeind, der Hände eher quetscht als schüttelt, Merz also, der 1,98-Mann, durch dramatische Schrumpfung zu unkalkulierbar Gefährlichem verdichtet.
Männer vom Schlage Sarkozys sind ein Grauen für Merkel. In einem aber sind sie sich völlig gleich: Als der Herr den Ehrgeiz verteilte, riefen beide dreimal "hier"
Schroffere Gegensätze als zwischen Sarko und Angie lassen sich kaum vorstellen. Er beherrscht die große Theatralik, sie ist das wandelnde Understatement. Er gibt den Draufgänger, sie den errötenden Backfisch. Er stellt seine attraktive Frau gern aus, sie versteckt den grauen Mann an ihrer Seite. Er spitzt Konflikte lustvoll zu, sie macht sie voll Hingabe stumpf. Er liebt es, rhetorisch zu brillieren, ihre Reden kräuseln kein Wässerchen. Er lässt sich fotografisch groß in Szene setzen, sie schnauzt Bildkünstler gern in die Flucht. Er ist ein reaktionärer Revolutionär, sie die Meisterin der Filzlatschen- Evolution. Er ist ein gallischer Nationalist, sie eine europäische Globalisiererin. Er löst Furcht aus, weil sogar seine privaten Eskapaden öffentlich sind, sie produziert Ängste, weil sie persönlich noch immer ein unbeschriebenes Blatt ist. Er ist fauchendes Raubtier, sie geduldige Tierpflegerin.
In einem aber sind sie sich völlig gleich: Als der Herr den Ehrgeiz verteilte, riefen beide dreimal "hier". Und das verspricht großes politisches Entertainment. Ein Charakter wie Nicolas Sarkozy kann gar nicht anders, als auch in Europa die Führungsrolle zu kapern. Die aber hält Angela Merkel längst für glänzend besetzt – von sich selbst. Jacques Chirac, der ewig handküssende Galan, war ja kein Rivale mehr, er ließ die europäischen Dinge treiben. Natürlich werden sie nun alles tun, Angie und Sarko, um nicht endenwollende Harmonie vorzuspielen. Stählern werden sie sich anblecken. Das wird ein Schauspiel!