Zwischenruf Verliebt ins Misslingen

Merkel und die Medien - Mächte wechselseitigen Missvergnügens. Die Presse tappt im Dunkeln, die Kanzlerin geht direkt ans Volk. Ein Verlustgeschäft für beide. Aus stern Nr. 25/2006

Es knospt eine Liebe. Zart und gefährlich. Zwischen Medien und Politik. Eine neue, eine ganz anders geartete Liebe, als man sie kennt. Die alte Liebe hatte einen Namen: Medienkanzler. In den besseren Tagen liebten die Medien Gerhard Schröder wegen seines brutalen, ungemein unterhaltsamen Charmes - und der suchte aus dem Entertainment Emotionen zu saugen, zum Gelingen seiner Politik, zur Verlängerung seiner Macht. Angela Merkel ist das Objekt neuer Begierden. Wieder wächst bei den Medien eine Liebe. Aber diesmal sind sie verliebt ins Misslingen.

Denn sie sind eigensüchtige Liebhaber. Wenn nichts mehr geboten wird, weder Politik noch Charme und Entertainment, ja nicht einmal mehr Brutalität, stellen sich für Medien existenzielle Fragen. Fragen nach Schlagzeilen und Sondersendungen, nach Auflagen und Einschaltquoten. So gesehen ist Angela Merkels Große Koalition ein glattes Minusgeschäft. Überall und jederzeit rote Zahlen.

Die Regierung hat den Vorhang vor der Bühne der Politik herabgelassen. Dahinter, nur zu ahnen, aber nicht zu beobachten von den medialen Theaterkritikern, werden Kulissen geschoben und Rollen eingeübt. "Reifezeit" nennt das Peer Steinbrück, der Finanzminister, der selbst an einer wichtigen Szene arbeitet, der Unternehmensteuerreform. Erst wenn das Bühnenbild steht und die Rollen sitzen, soll sich der Vorhang heben. Bloß keine öffentlichen Proben, bloß keine Debatten zwischen Regisseurin, Hauptdarsteller und Chargen. So wie früher. Das ist gut für die Truppe, die Politik. Das ist schlecht für die Kritiker, die Medien. Und das ist langweilig fürs Publikum, das Volk. Das wendet sich ab, liest nicht, hört nicht, schaut nicht zu. Schlecht für alle.

Also werden die Medien maulig, missvergnügt, ungerecht auch. Zwischen "Die tun nix" und "Die bauen nur Murks" schwanken die krass widersprüchlichen Bewertungen. Das erste Urteil ist eher im linksliberalen Spektrum verbreitet - "Blockade" diagnostizierte kürzlich der "Spiegel". Das zweite im konservativen - kulminierend in der "Bild"-Headline: "Schlimmste Steuererhöhung aller Zeiten". Verbindend ist indes ein kollektiver Schrei nach Tumult. Also geißelt die "Welt" das "Wachkoma" der Koalition und bekennt ihre verspätete Sehnsucht nach Schröder: "Es fehlt einer, an dem sich alle reiben wollen bis zur Weißglut, der Pfeile auf sich zieht und welche abschießt." Also stöhnt die "Süddeutsche Zeitung" wie befreit auf, wenn einmal Stimmengewirr hinter dem Vorhang zu vernehmen ist oder Akteure auf dem Weg zur Maske unlustig grummeln über den Stand der Inszenierung: "Es war eine Luftspiegelung, die Große Koalition der Gleichgesinnten ist ein Märchen." Also bringt es der "Spiegel" fertig, beide Thesen in einem einzigen Artikel zu vertreten: "SPD und CDU gifteten einander an" und "Man liegt einander selig in den Armen, als wäre dies ein immerwährender Vatertagsausflug."

Es ist ein Muttertagsausflug. Und die Mutter reist, wie sie stets gefahren ist. Voller Misstrauen, dass vorzeitig zu viel über Richtung, Etappen und Ziel der Exkursion bekannt werden könnte. Falsch ist, dass die Fahrt noch gar nicht begonnen hätte. Aber die Zwischenstopps oder die einzelnen Szenen ihres Stücks, um im Theaterbild zu bleiben, werden erst offenbart, wenn Merkel die Zeit dafür reif erscheint: Rente mit 67, Elterngeld, Steuererhöhungen - bald Gesundheitsreform und anderes. Das folgt getreu dem Skript des Koalitionsvertrags. Bloß: Eine Gesamtaufführung mit gemeinsamer Sprache und Sinnstiftung entsteht dadurch nicht.

Die Regierung hat den Vorhang herabgelassen vor der Bühne der Politik. Dahinter werden Kulissen geschoben und Rollen eingeübt

Und: Diese Kommunikationsstrategie ist eine Katastrophe. Nicht besser als in Schröders schlechter Phase. Als der Hartz IV zur kostensparenden Fusion zweier Finanzsysteme - Arbeitslosengeld und Sozialhilfe - erklärte und die Wahrheit nicht laut auszusprechen wagte: dass Stütze-Empfänger zur Annahme jedes Jobs genötigt werden sollten. Politik kann nur gelingen, wenn sie sich unablässig erklärt, Motive und Optionen offenlegt, geduldig und Schritt für Schritt nachvollziehbar eine verbindende Idee vorgibt. Kurz: das Volk mitnimmt auf die Reise. Und die Medien. Denn Kommunikation ist (fast) alles. Es gibt einen dritten Weg zwischen "Reifezeit" à la Steinbrück und Interview-Hysterie à la Schröder.

Die Kanzlerin aber hat noch kein System der Medienarbeit gefunden. Als die CDU kürzlich zur MediaNight in die Parteizentrale lud, blieben die Journalisten unter sich. Merkel und die Parteigranden zogen sich, sofern sie überhaupt erschienen waren, in eine Beletage zurück: Nie sollt ihr uns befragen. Nur ein einziges Mal hat sie bisher die Berliner Presse-Büroleiter zum Gespräch ins Kanzleramt geladen. Nun will sie sich an den Medien vorbei direkt ans Volk wenden. Legitim, aber heillos: Die erste ihrer künftig wöchentlichen Videobotschaften im Internet war kabarettreif. Misslungen. Und ein Ansporn für die neue mediale Liebe - Verliebtsein ins Misslingen.

print
Hans-Ulrich Jörges