Die Schwäche der Demokraten ist die Stärke der Antidemokraten. In diesen Tagen zeigen sich die Demokraten bestürzend schwach, deshalb erscheint die NPD beängstigend stark. So hilflos und furchtsam geben sich die Demokraten, dass sie eine Art Staatsnotwehr herbeizureden versuchen. Was sie herbeireden, ist indes der stille Triumph der NPD. Denn die hysterische Debatte über deren Bekämpfung enthüllt nur die eigene Schwäche - und empfiehlt die NPD als Protestpartei für jene, die sich darüber empören. Das sind nicht wenige. Die Eliten des Staates - Politik, Wirtschaft, Gewerkschaften - stecken in der tiefsten Vertrauenskrise seit Gründung der Republik, und fast 60 Prozent der Deutschen glauben, dass keine Partei in der Lage sei, die Probleme des Landes zu lösen. In Deutschland wandert Protest eher nach rechts als nach links. Die demokratischen Parteien aber reden nicht über die Ursachen, sondern nur über die Folgen ihrer Schwäche. Damit besorgen sie das Geschäft der NPD. Die Debatte, die vorgibt, die Demokratie zu verteidigen, rückt sie in Wahrheit ins Zwielicht. Höchste Zeit zur Besinnung.
Denn das Grundgesetz ist unteilbar. Es duldet nur die Unterscheidung zwischen verfassungswidrigen und verfassungsgemäßen Parteien. Verfassungswidrige Parteien gehören verboten. Ist die NPD verfassungswidrig, muss sie nach sorgfältiger Prüfung verboten werden. Rasch. Solange das nicht geschehen ist, hat sie Anspruch auf den Schutz des Grundgesetzes und die Wahrnehmung aller Freiheitsrechte. "Freiheit ist immer nur Freiheit des Andersdenkenden": Dieser Satz Rosa Luxemburgs ist nicht allein nach links gesprochen - in der Demokratie sind alle Andersdenkende. Er gilt nur dann nicht, wenn die einen die Freiheit der anderen beseitigen wollen.
Die NPD aber zuzulassen und sie unterhalb eines Verbots durch Spezialgesetze als verfassungswidrig zu behandeln ist in sich verfassungswidrig und macht die Demokratie unglaubwürdig - zum Nutzen der NPD. Alle bislang präsentierten Vorschläge empfehlen solche Spezialgesetze und -regeln, die den Neonazis Argumente liefern, um die Demokratie als undemokratisch verächtlich zu machen: Ausschluss aus der Parteienfinanzierung, Einschränkung der parlamentarischen Immunität, Wortentzug im Landtag, Aufhebung der Versammlungsfreiheit auf Verdacht, Verbot von Kundgebungen an Gedenkstätten.
Wie schwach fühlen sich jene, die das vorschlagen? Oder gar: Wie schwach sind sie? Wenn im sächsischen Landtag niemand den schlauen Hetzern der NPD Paroli zu bieten vermag? Wenn es nicht gelingt, eigene Abgeordnete davon abzuhalten, in feiger Anonymität mit der NPD zu stimmen? Wenn in Dresden eine Fotoausstellung über die Zerstörung der Stadt durch alliierte Bomber im Februar 1945 abgesagt wird, weil man der NPD kein Podium für ihre Propaganda vom "Bomben-Holocaust" bieten will? Wenn neue Gesetze eilig durchgepaukt werden sollen, damit am 8. Mai, dem 60. Jahrestag des Kriegsendes, keine Bilder von NPD-Aufzügen um die Welt gehen? Wenn das Fernsehen an Wahlabenden NPD-Funktionäre ins Studio lädt, ihnen aber rüde das Wort abschneidet? All das bestätigt NPD-Wähler. Und lockt neue. Bislang sind die Rechtsradikalen in Deutschland nicht stärker als anderswo in Europa: Zehn Prozent Wählerpotenzial hat das Forsa-Institut aktuell gemessen, im Osten wie im Westen. Bedrohlich ist indes der Trend bei Jungwählern: 14 Prozent der 18- bis 29-jährigen Männer könnten sich heute vorstellen, rechtsextrem zu wählen. Bei der Landtagswahl 1998 in Sachsen-Anhalt votierten gar 30,3 Prozent der jungen Männer für die DVU. Das richtet beschämende Fragen an die Schulen.
Alle bislang präsentierten Vorschläge liefern den Neonazis Argumente, um die Demokratie verächtlich zu machen.
Mehr noch aber an die demokratischen Parteien. Ihre Schwerhörigkeit bei der Luxus-Versorgung von Politikern, ihre achselzuckende Abwendung vom Osten, ihre Ratlosigkeit vor fünf Millionen Arbeitslosen, ihre ritualisierten Gedenkstunden sind der Humus, in den die NPD Verachtung und Geschichtslügen sät. Der Gesetze sind genug: Volksverhetzung und Leugnen des Judenmordes stehen unter Strafe, das Versammlungsrecht gebietet Einschreiten bei Gewalt und Gesetzesbruch. Der Rest muss ertragen und bekämpft werden - durch andere Politik. Auch durch kluge Integration nach rechts, die CDU und CSU nicht mehr leisten, weil ihr rechter Flügel abgestorben ist. Wenn schon Begriffe wie "deutscher Weg" (Gerhard Schröder) oder "deutsche Leitkultur" (Friedrich Merz) öffentlich skandalisiert werden, wird das Nationale den Neonazis ausgeliefert. Das Verfassungsgericht hat - mehr als ungewöhnlich - zu einem neuen Verbotsantrag gegen die NPD eingeladen. Wagt es Otto Schily dennoch nicht, so darf das als Beleg dafür gelten, dass die NPD-Führung noch immer mit Spitzeln durchsetzt ist und erneutes Scheitern zu fürchten wäre. An solcher Unbelehrbarkeit, solcher Arroganz mästet sich der Popanz NPD.