Der Aufstieg Adolf Hitlers zum Reichskanzler vor 70 Jahren war nach Ansicht des Historikers Hans Mommsen keineswegs zwangsläufig. Die von der Verfassung gebotene Abhaltung von Reichstagswahlen vor der Bildung des Kabinetts Hitler hätte wahrscheinlich eine sozialdemokratisch-republikanische Mehrheit erbracht, sagte Mommsen in einem dpa-Gespräch zum Jahrestag am 30. Januar 2003. Die NS-Propaganda bezeichnete den Tag als "Machtergreifung".
"Die konservative Kamarilla in der Umgebung des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg war jedoch entschlossen, einen Rückfall in das parlamentarische System um jeden Preis zu verhindern", sagte der emeritierte Professor für Neuere Geschichte. Dieser Personenkreis habe sich seinerzeit bereit gezeigt, Hitler die Kanzlerschaft in einem konservativen Präsidialkabinett einzuräumen.
"Kabinett der nationalen Konzentration"
Dem rechten Zentrumspolitiker Franz von Papen gelang es, die hinter dem Rücken des amtierenden Reichskanzlers Kurt von Schleicher vorbereitete Bildung des "Kabinetts der nationalen Konzentration" dem zögernden Präsidenten Hindenburg schmackhaft zu machen. Behauptet wurde, dass die Zentrumspartei sich dem Kabinett anschließen und dieses somit eine parlamentarische Mehrheit hinter sich haben würde. Die mehrheitlich nicht der NSDAP angehörenden Kabinettsmitglieder waren überzeugt, Hitler "einrahmen" und so "zähmen" zu können.
Der Ernennung Hitlers sei ein längerer Prozess der Machteroberung gefolgt, sagte der 72-jährige Mommsen weiter. "Dem Kabinett war von den Zeitgenossen keine lange Zukunft eingeräumt worden." Mit der Vereinigung der Ämter des Regierungschefs und des Reichspräsidenten in der Hand Hitlers als "Führer und Reichskanzler" im August 1934 sei der Weg zur Erringung der totalen Macht jedoch unumkehrbar gewesen.
Mommsen verwies darauf, dass die NSDAP nach dem Erfolg bei den Reichstagswahlen vom Juli 1932 schon im November beträchtliche Einbußen hinnehmen musste und bei den folgenden Regional- und Kommunalwahlen bis zu 40 Prozent der Stimmen verlor. Der bei den Reichstagswahlen vom 5. März 1933 im Vergleich zu den Juliwahlen erzielte Stimmengewinn von nur wenigen Prozentpunkten sei von den Nazis intern als Niederlage gewertet worden. Nach dem mit allen propagandistischen Mitteln ausgeschlachteten Reichstagsbrand, der Behinderung und Unterdrückung der Linksparteien und Übergriffen auf die Länderregierungen wäre eigentlich ein größerer Stimmenzuwachs der NSDAP zu erwarten gewesen.
Mommsen einer der führenden deutschen Zeithistoriker
Hans Mommsen gilt als einer der führenden deutschen Zeithistoriker. Seit 1968 hatte er an der Ruhr-Universität Bochum einen Lehrstuhl für Neuere Geschichte inne. 1996 wurde er emeritiert. In zahlreichen Veröffentlichungen setzte er sich mit der Geschichte der Sozialdemokratie, der Arbeiterbewegung, dem deutschen Widerstand, der Weimarer Republik und dem Dritten Reich auseinander. Er lebt im bayerischen Feldafing am Starnberger See.