Zwanzig Jahre lang saß Hanus Hajek mit dem mutmaßlichen NS-Kriegsverbrecher Ladislav Niznansky in einem Büro. Zwanzig Jahre lang arbeiteten Hajek, dessen jüdische Eltern von den Nazis ermordet wurden, und "Laco", der in der NS-Zeit 164 Zivilisten umgebracht haben soll, Seite an Seite für den US-Sender Radio Free Europe. "Vielleicht habe ich all die Zeit mit einer Art Eichmann im Zimmer gesessen", sagt Hajek. "Aber ich glaube das nicht."
"Ausgesprochen guter Mann"
Hajek arbeitete von 1953 bis 1980 bei Radio Free Europe in München, das die Bürger der damaligen Ostblockstaaten mit westlichen Nachrichten versorgte. Anfang der 60er Jahre wurde Hajek Leiter der tschechoslowakischen Sektion für Forschung und Analyse. Zu seinem Stellvertreter machte er Niznansky, der bereits seit 1954 für den Sender tätig war. "Er war ein ausgesprochen guter Mann", sagt der heute 84-jährige Hajek. "Er hatte die besten Qualifikationen aus meiner Mannschaft. Vor allem konnte er sehr gut Amerikanisch." Nachdem Hajek 1980 in den Ruhestand gegangen war, übernahm Niznansky sogar seine Position als Leiter, bis er 1983 selbst in Rente ging.
Niznansky soll Anfang 1945 als Mitglied einer Hilfstruppe zur Partisanenbekämpfung maßgeblich an drei Massakern in der Slowakei beteiligt gewesen sein. Laut Anklage wurden damals in den Dörfern Ostry Grun und Klak 146 Bewohner, darunter Frauen und Kinder, zusammengetrieben und erschossen. Wenig später befahl er laut Anklage bei Ksina in der Slowakei die Erschießung von 18 jüdischen Zivilisten. Seit Mitte der 50er Jahre lebt Niznansky in Deutschland, seit 1996 mit deutschem Pass. Im Januar 2004 wurde er in München festgenommen.
Über die Vergangenheit seines Stellvertreters habe er "nichts Detailliertes" gewusst, berichtet Hajek. "Darüber wurde nicht gesprochen", sagt der gebürtige Tscheche mit US-Pass. Für Furore im Sender sorgte allerdings, dass ein tschechoslowakisches Gericht Niznansky 1962 in Abwesenheit zum Tode verurteilte. Damals, sagt Hajek, hätten ihn seine amerikanischen Chefs aufgebracht zu sich gerufen und gefragt: "Nun, was sollen wir mit Laco machen?" Darauf habe er geantwortet: "Nichts." Auch heute noch ist Hajek davon überzeugt, dass es sich damals um einen "typisch kommunistischen Prozess" mit "unglaubwürdigen Zeugen" gehandelt habe, der in einer "Atmosphäre der Hysterie" stattgefunden habe. Deshalb habe er zu den Amerikanern gesagt: "Wir werden doch nicht auf einen solchen Prozess hereinfallen!"
Mitglied der "Abwehrgruppe Edelweiß"
Nach anfänglichem Zögern habe Niznansky von seiner Vergangenheit erzählt und gegenüber den Kollegen beteuert, dass er nur aus Not zur SS gegangen sei: Als slowakischer Offizier habe er 1944 am Aufstand gegen die deutschen Besatzer teilgenommen und sei im selben Jahr in Uniform von den Deutschen festgenommen worden. Seiner Erschießung sei er nur dadurch entkommen, dass er Mitglied der "Abwehrgruppe Edelweiß" geworden sei. Die Vorfälle in Ostry Grun und Klak habe er ganz anders geschildert, berichtet Hajek: Zwar hätten "Edelweiß"-Leute die Häuser in den Dörfern angezündet, doch seien diese leer gewesen. Die Bewohner seien zuvor in die Berge geflohen.
Dass Niznansky Verbrechen begangen hat, glaubt Hajek nicht: Schließlich sei er von der Security-Sektion des Senders, die die Vergangenheit der Mitarbeiter untersucht habe, angenommen worden. "Ich dachte, wenn er von denen akzeptiert wurde, ist er in Ordnung", erklärt Hajek. "Natürlich ist es theoretisch möglich, dass ich mich geirrt habe", sagt er und lächelt. "Haben Sie gestern jemanden umgebracht?" fragt er. "Ich glaube es nicht. Sie sehen nicht aus wie eine Mörderin. Aber ich weiß es nicht genau."
Hajek beschreibt seinen Kollegen als einen intelligenten, fleißigen und sorgfältigen Journalisten. Zu den Juden im Sender sei Niznansky besonders nett gewesen, "vielleicht, um nicht unter Verdacht zu geraten", sagt Hajek spöttelnd. Doch über eine kollegiale Beziehung sei sein Verhältnis zu Niznansky nie hinausgegangen. "Privat hatten wir nichts miteinander zu tun."
Eltern von Nazis ermordet
Hajeks Eltern wurden von den Nazis deportiert und ermordet, wie der Großteil seiner Verwandtschaft. Dennoch wünscht er seinem Ex-Kollegen, dass er frei gesprochen wird. "Ich denke, 2004 ist nicht mehr die Zeit, um die Geschehnisse von 1944 zu rekonstruieren", sagt Hajek. Außerdem habe ich Bilder von Niznansky gesehen, er sieht schrecklich aus. Was hat man davon, einen alten Greis in den Knast zu stecken?" Noch eine Frage hat Hajek: "Wieso hat man Niznansky erst 2004 verhaftet, nach 50 Jahren in Deutschland?"