Olaf Scholz hat auf einer Geburtstagsfeier Joe Chialo als Hofnarren der CDU bezeichnet. Der Kanzler wehrt sich gegen den Vorwurf, er habe Berlins Kultursenator damit wegen dessen schwarzer Hautfarbe rassistisch beleidigen wollen. Mittlerweile hat er Chialo angerufen. Die Aufregung war groß, die Heuchelei auch.
Scholz hat einen Fehler gemacht, auch weil er sich nicht gleich entschuldigte. Aber unabhängig davon, wie man sein Benehmen bewertet, zeigt sich der Berliner Betrieb aus Politik und Medien in dieser Geschichte insgesamt von seiner besonders scheinheiligen Seite. Ja, ich gehöre seit vielen Jahren dazu. Und manchmal widert es mich an.
Olaf Scholz, Harald Christ und 300 Geburtstagsgäste
Die Geburtstagsfeier hat der Unternehmer Harald Christ veranstaltet. Christ hat sich einst auch in der Politik versucht, war in zwei Parteien Mitglied und kennt sehr viele Leute. Rund 300 Gäste waren zu seinem Geburtstag eingeladen, Politiker, Journalisten, Prominente.
Mit Harald Christ habe ich einmal zu tun gehabt, vor 16 Jahren. Der SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier hatte ihn in sein Kompetenzteam berufen. Wir führten ein längeres, freundliches Gespräch. Seither sind wir uns nicht mehr begegnet. Ich erhielt trotzdem persönliche Einladungen zu Veranstaltungen. Vielleicht ist der Netzwerker Christ nur ein geselliger Mensch, wahrscheinlich ist es sein Geschäftsmodell. Ich bin nicht hingegangen.
Auch bei Christs Geburtstag liegt nahe, dass nicht alle Eingeladenen Freunde waren, sondern manche nur Wichtigheimer und Adabeis. Aber natürlich kann Christ einladen, wen er will. In seiner Begrüßung bat er darum, "dass über persönliche Gespräche nicht öffentlich berichtet wird". Das war ehrenwert, aber auch naiv.
Womit wir beim Chefredakteur des "Focus" sind, der die Geschichte publik gemacht hat. Etwa zehn Tage und Nächte hat er offenbar mit sich gerungen, ob er den privaten Charakter des Abends ignorieren soll. Dann hat er es getan, natürlich nicht, weil das wenige Tage vor der Wahl eine geile Geschichte ist, die super klickt, Gott bewahre, sondern weil er Deutschland vor einem Kanzler schützen will, der seines Amtes nicht würdig ist. Oder so ähnlich. Dafür darf man Vertraulichkeit mal brechen, oder?
Wer einmal mit Olaf Scholz auf Reisen war, weiß, dass er jenseits des Protokolls nicht so beherrscht redet wie in der Öffentlichkeit. Er unterscheidet sich darin von seiner Vorgängerin, die 24 Stunden am Tag bewusst Kanzlerin war und die Journalistenrunden stets rechtzeitig verließ, ehe sie auch nur in die Gefahr geraten konnte, etwas Unstatthaftes zu sagen.
Warum hat niemand, pardon, das Maul aufgemacht?
Scholz ist nachlässiger, oft zum Nutzen der Journalisten, weil sie etwas erfahren, manchmal zu ihrem Schaden, weil er auch austeilt. Eine persönliche Beleidigung habe ich nie erlebt. Im Übrigen glaube ich, dass man auch dem Kanzler ein Stoppschild aufstellen kann, wenn er sich vergaloppiert.
Das ist doch erstaunlich an all den Berichten vom Christ-Geburtstag: Es wurde viel geschrieben, erzählt und geraunt über den Unflat, den Scholz verbreitet haben soll. Noch nichts habe ich aber davon gehört oder gelesen, dass irgendjemand dem Kanzler widersprochen hätte. Nur Chialo selbst hielt dagegen und entfernte sich dann.
Komisch, oder? Wenn Scholz’ Verhalten objektiv so rassistisch war, wie jetzt alle finden, warum hat niemand, Pardon, das Maul aufgemacht? Was war mit den Journalisten? Man habe sich ungläubig angeguckt, hat der Chefredakteur des "Focus" erzählt. Aber gesagt hat offenbar niemand was. Da schau her, so kennt man uns gar nicht.