Seit 1982 steuerte er die Dienstwagen von Politikern und hohen Beamten, seit August 1999 im Dienst des Bundesfamilienministeriums. Bis die Karriere des Rainer Struck im vergangenen Sommer ein jähes Ende fand - ungefähr zur gleichen Zeit, als er angebliche Unregelmäßigkeiten bei der Führung von Fahrtenbüchern der Behörde beklagte.
Der Fall des 52-jährigen Chauffeurs ist von großer Aktualität. An diesem Mittwoch muss sich Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) vor dem Haushaltsausschuss des Bundestages zu ihrer Dienstwagenaffäre erklären, die seit mehr als vier Wochen hohe Wellen schlägt. Im Gegenzug drohen SPD-Abgeordnete bereits mit kritischen Nachfragen an Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) - also an die Dienstherrin von Fahrer Struck. Dass es auch an ihrem Umgang mit dem Ministeriumsfuhrpark einiges auszusetzen gibt, hatte stern.de schon im Januar enthüllt. Jetzt sind Unterlagen aufgetaucht, die neue Fragen an von der Leyens Behörde aufwerfen.
Egal, ob bei SPD-Ulla oder CDU-Ursula - in beiden Affären lautete die ultimative Verteidigungslinie der Regierung so: die Ministerinnen hätten private und dienstliche Fahrten stets säuberlich getrennt. Nur dienstliche Fahrten bezahle der Steuerzahler. Privattouren versteuerten die Politikerinnen ordnungsgemäß als geldwerten Vorteil. Das garantierten die unbestechlichen Fahrtenbücher.
Wurden Fahrtenbücher neu geschrieben?
Doch genau an deren Korrektheit gibt es nun Zweifel, zumindest im Fall des Familienministeriums der Ursula von der Leyen. Dort beschwerte sich bereits im Juni 2008 Fahrer Struck per Brief bei seinem Vorgesetzten, mit Kopie an den Staatssekretär Gerd Hoofe: "In der Vergangenheit" habe es bekanntlich Beschwerden "von Dienstfahrzeugnutzern" gegeben. Diese habe die Ministerialverwaltung "nicht oder falsch belehrt", wie sie "den geldwerten Vorteil" zu berechnen hätten. Darauf seien Mitarbeiter des Ministeriums, so schrieb Fahrer Struck, beauftragt worden, Fahrtenbücher neu auszufüllen. Dafür stehe er "nicht zur Verfügung".
Unsinn, antwortet heute das Ministerium. Der Fahrer habe "unbegründete und in jeder Hinsicht unrichtige Behauptungen" aufgestellt. Niemals seien im Familienministerium "Fahrtenbücher geändert oder neu geschrieben" worden.
Nur unter von der Leyens Vor-Vorgängerin Christine Bergmann (SPD) habe man "ergänzende Auflistungen einzelner Fahrten anhand der Terminkalender" der Ministerin und ihrer Staatssekretäre "angefertigt". Grund: Das Finanzamt Bonn-Innenstadt habe damals die Fahrtenbücher "bemängelt".
Auch das Wirtschaftsministerium stand unter Verdacht
Das galt damals nicht nur für das Familienministerium. Im August 2004, geriet die Führungsebene des Wirtschaftsministeriums ins Zwielicht. Das Finanzamt Bonn-Innenstadt hatte, so das Ministerium heute, "wie bei einer Vielzahl anderer Ministerien auch", die Fahrtenbücher überprüft: "Im Rahmen dieser Prüfung wurde eine unzureichende Führung der Fahrtenbücher festgestellt, die zu Steuernachzahlungen für die Beteiligten führte." Der damalige Minister Wolfgang Clement (SPD) selbst lässt versichern, er habe "zu keiner Zeit, weder im Staatsamt noch im privaten Beruf, ein Problem mit seiner Finanzbehörde gehabt".
Inzwischen, so beteuert das jetzt von Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) geleitete Wirtschaftsministerium, führe man die Aufzeichnungen "entsprechend den Vorgaben der einschlägigen Lohnsteuerrichtlinien". Dienstliche und private Fahrten würden "gesondert ausgewiesen".
Es scheint sich also um keine Selbstverständlichkeit zu handeln. Bereits im August 2004 mahnte das Kanzleramt alle Ministerien, die korrekte Versteuerung der Privatfahrten ordentlich zu überprüfen. Doch zumindest im Familienministerium, damals noch nicht unter Ministerin von der Leyen, trugen manche Chauffierten weiter nicht immer wie verlangt den "Fahrtzweck" und die "Art des Dienstgeschäfts oder der genehmigten Privatfahrt" ein. Stattdessen blieben die Spalten leer. Das zeigen Unterlagen, die stern.de vorliegen.
Antwort des Ministeriums: Es sei auch heute durchaus üblich, dass Sachbearbeiter in den Fahrtenbüchern nachträglich "Ergänzungen des Fahrtzwecks" eintrügen, "anhand der Adresskalender der gefahrenen Personen". Dies geschehe, "um den Verwaltungsaufwand während Fahrten für die Leitungsmitglieder selbst gering zu halten". Diese Erklärung überrascht. Denn laut Vorschrift sind es die Fahrtzeugnutzer - also Minister und Staatssekretäre - selbst, die den "Fahrtzweck" anzugeben und abzuzeichnen haben. Das Familienministerium hingegen behauptet, die dortige Praxis sei rechtlich ebenfalls möglich.
Der Fall Rainer Struck
Ganz so unbegründet scheinen die Zweifel an der Korrektheit der Fahrtenbücher jedenfalls nicht zu sein, die Fahrer Struck formulierte. Bereits kurz vor seinem Protestschreiben hatte ihn das Ministerium vom Cheffahrer eines Parlamentarischen Staatssekretärs zum einfachen Chauffeur degradiert. Nach Absendung seines Brandbriefs folgten Abmahnungen und Kündigungen. Laut Ministerium gab es da freilich keinerlei Zusammenhang.
Innerhalb von dreieinhalb Monaten kassierte Struck vier Abmahnungen. Seit Beginn dieses Jahres folgten vier Kündigungen, ebenfalls in Serie - zum Beispiel wegen des Vorwurfs, er habe gegenüber Kollegen Vorgesetzte beschimpft.
Besonders gut begründet waren die Rausschmisse offenkundig nicht. Eine zog das Ministerium im Januar wieder zurück, nachdem der Fahrer vor das Arbeitsgericht gegangen war. Gegen zwei weitere obsiegte er. Die Entlassungen seien "unwirksam", urteilte das Berliner Arbeitsgericht am 9. Juli. "Die Kosten des Rechtsstreits" würden dem Ministerium "auferlegt". Das hat inzwischen Rechtsmittel eingelegt.
Schon Ende Juni, während die Verhandlungen vor dem Arbeitsgericht noch im Gang waren, ließ von der Leyen eilig eine weitere Kündigung nachschieben. Man wolle ihn aus dem Ministerium "hinauskatapultieren", beschwerte sich Struck vor dem Arbeitsrichter.
Von der Leyen beauftragt lieber andere Chauffeure
Das Ministerium bestreitet das. Die Kündigungen seien die Konsequenz von "schwerwiegenden Pflichtverstößen und dem Verdacht strafbarer Handlungen des Fahrers". Strafanzeige hat das Ministerium jedoch nicht gestellt.
Aber für Ministerin von der Leyen komme Struck als Cheffahrer ohnehin "wegen des Fehlens des insoweit erforderlichen Vertrauensverhältnisses" nicht in Frage. Statt von dem am Berliner Dienstsitz ansässigen Fahrer Struck lässt sie sich lieber von zwei Fahrern kutschieren, die ausgerechnet in Bonn leben - und extra aus dem Rheinland anreisen müssen, auch um die Ministerin regelmäßig zwischen ihrer Wohnung in Burgdorf-Beinhorn bei Hannover und Berlin hin- und herzuchauffieren.
Wie oft das geschieht, darüber verbreitete das Ministerium widersprüchliche Angaben. "Mehrmals wöchentlich" fänden diese Fahrten statt, erklärte eine Anwältin im Namen der Familienministerin. Wäre es so, hätte die Politikerin enorme Summen zu versteuern. Muss sie aber nicht, denn in von der Leyens Fahrtenbuch stand laut Ministerium 2008 wie in den bisherigen Monaten des Jahres 2009 im Schnitt höchstens eine Tour pro Woche.
Im Fahrtenbuch werde "zwischen dienstlichen und privaten Fahrten genau getrennt", lässt die Politikerin verbreiten. Gut möglich, dass das stimmt. Doch nachprüfen kann man das nicht, denn die Christdemokratin verweigert den Einblick in die Dokumente - mit Argumenten, die selbst der Bundesdatenschutzbeauftragte "nicht nachvollziehen" konnte.
Der zuständige Abteilungsleiter wird versetzt
Ausgerechnet der für die Dienstwagen zuständige Abteilungsleiter des Familienressorts wurde übrigens mit Wirkung zum 16. Juni versetzt. Nun ist er nicht mehr Abteilungsleiter, sondern nur noch Unterabteilungsleiter und verantwortlich für das Thema "Teilhabe junger Menschen".
Nein, mit irgendwelchen Dienstautoproblemen habe das nichts zu tun, versichert das Ministerium. Es handele sich auch keinesfalls um eine "Rückstufung". Vielmehr habe der Spitzenbeamte selbst "darum gebeten, sich nach mehr als achtjähriger Tätigkeit als Leiter der Zentralabteilung noch in dieser Legislaturperiode einer neuen Herausforderung in einer neuen Funktion stellen zu dürfen". So formulierte es Staatssekretär Gerd Hoofe im Januar in einem Schreiben an alle Beschäftigten im Haus. Die Leitung, so Hoofe, habe entschieden, "diesem Wunsch zu entsprechen".
Eine Erniedrigung auf Antrag also. Fahrer Struck ist weniger masochistisch veranlagt. Er klagt auch gegen die jüngste Kündigung.