Das längste Skirennen Und dann kam ich!

Von Monique Berends
Nicht nur Profis wagen sich beim längsten Skirennen der Welt auf die Pisten zwischen Lech, Zürs, Zug und Oberlech, auch Hobbysportler wie unsere Mitarbeiterin versuchten die 22 Kilometer zu bewältigen. Das dauerte nur etwas länger.

Mit lautem Herzklopfen und geschätzten 30 Konkurrenten fahre ich mit der Rüfikopfseilbahn den gleichnamigen Berg hoch. Ohne mich überhaupt angestrengt zu haben, läuft mir der Schweiß über den Rücken, die Skiunterwäsche klebt an meinen Pobacken. Heute steht kein gewöhnlicher Skitag auf dem Programm, heute will ich beim längsten Skirennen der Welt die Pisten herunterrasen.

Zum zweiten Mal findet im vorarlbergschen Lech "Der Weiße Ring - das Rennen" statt. Was als panoramaträchtige Rundfahrt begonnen hat, ist seit dem letzten Jahr das größte Skirennen der Welt. Zwischen den Orten Lech, Zürs, Zug und Oberlech gilt es, eine Strecke von knapp 22 Kilometern zu bewältigen - und das nicht nur auf Skiern, sondern auch im Lift. Die Bergdörfer sind durch Abfahrten und die wiederum durch Sessel- und Schlepplifte miteinander verbunden, so dass man zwischen den Pisten eine Verschnaufpause bekommt. Die einzelnen Stationen verteilen sich auf insgesamt 5500 Höhenmeter, doch das bekommt man als Teilnehmer gar nicht so richtig mit. Was zählt, ist nicht der Ausblick, sondern die Zeit. Im vergangenen Jahr brauchte der Beste nicht einmal 45 Minuten - allerdings wurde er nicht Erster: Olympiasieger und Abfahrtsweltmeister Patrick Ortlieb nahm man hinterher aus der Wertung, da man seine Leistung nicht als Maßstab für die weniger professionellen Starter nehmen wollte.

Eigentlich ein Tag zum Sonnenbaden

45 Minuten. Mir schlottern die Knie bei dem Gedanken an diese Leistung. Ich bin schon froh, wenn ich heil im Ziel ankomme, schließlich bin ich nur Snowboarderin im Anfängerstatus. Oben angekommen lege ich den unerlässlichen, aber wenig attraktiven Helm samt Schneebrille an. Noch grinsen die Konkurrenten freundlich ins Feld, manche der beeindruckend dicken Skifahrerwaden stecken in engen Anzügen in grellen Neonfarben.

Das fantastische Wetter lädt eher dazu ein, gemütlich den einen oder anderen Jagertee zu genießen, statt sich wagemutig auf die Pisten zu stürzen. Das Brett in der rechten Hand warte ich mit zitternden Beinen auf den Startschuss. Es ist 10:17 Uhr.

Drei, zwei, eins, los. Mit dem Brett unterm Arm renne ich über die Startlinie - die Rennleitung hat sich ein besonderes Schmankerl einfallen lassen und zwingt die Teilnehmer am Start zu einem wenig charmanten Anstieg. Während sich die Skifahrer gegenseitig auf die schicken Carver treten, spurte ich nach oben und schnalle mir so schnell wie möglich das Brett unter die Füße.

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Konkurrenz beflügelt

Unerwartet flott geht das; vollgepumpt mit Adrenalin stürze ich mich auf die Piste. Der Anfang ist simpel. Ich gehe tief in die Knie und fahre Schuss, damit ich wenigstens ein paar Sekunden Vorsprung rausholen kann. Zack, zack, geht es voran, der Gedanke an die skifahrende Konkurrenz verleiht mir ungeahnte Kräfte. Jegliche Tipps der Skiguides ignorierend lege ich an Tempo zu und genieße geschätzte drei Sekunden lang den Überraschungserfolg, bevor es mich mit voller Wucht von den Füßen reißt. Wie ein Propeller jagt mein Brett durch die Luft - dummerweise hänge ich noch dran. Was für ein Sturz. Weh getan? Nee. Peinlich? Und wie! Nicht nachdenken, weiter. Der nächste Konkurrent kommt bestimmt.

Tempo rausnehmen geht nicht, ich habe schon zu viel Zeit verloren. Kaum bin ich wieder auf den Beinen, gewinne ich an Fahrt - und werde gleich dafür bestraft. Nicht nur mich, auch einen unachtsamen Skikollegen reiße ich mit ins Unglück. Doch zum Glück sind die Knochen des Rivalen heil geblieben. Nun mal schön ruhig. Vielleicht wird es ja doch nichts mit den vorderen Plätzen, Hauptsache ist doch, ich komme vor zwölf Uhr ins Ziel. Danach wird niemand mehr gewertet.

Doch prompt rächt sich die neue Taktik: Tempo raus auf einem Ziehweg bringt den unvermeidlichen Stopp. Ich darf mich also noch mal setzen, das verflixte Brett abschnallen und laufen. Die ausgestreckten Pos der Schuss fahrenden Skifahrer tun ihr übriges, meine Stimmung zu verbessern. Kaum fällt die Piste wieder etwas ab, schnalle ich das Board an. Ich konzentriere mich auf die Schwünge, umschiffe die Schneehaufen meiner Vorgänger und erreiche schließlich den ersten Lift - ein Schlepper. Während sich Skifahrer in solchen Geräten auf der Ankerstange ausruhen können, erfahren Snowboarder ungeahnte Schmerzen. Falsch zwischen die Beine geklemmt zwirbeln sich schon mal Hautfetzen am Oberschenkel.

Der Traum vom Mittelfeld

Der "Liftboy" glotzt mich an, ich lächle gequält zurück. Der Schlepper entpuppt sich als genauso schlimm wie ich geahnt habe. Um die Balance zu halten, lege ich all mein Gewicht auf das vordere Bein, das erbarmungswürdig nach einer Pause schreit. Krampf im Zeh, ich drifte aus der Spur... und liege wieder im Schnee. Der Traum von einem der mittleren Plätze ist vorbei. Brett wieder ran, Spur runter, neuer Versuch.

Mit Ach und Krach überwinde ich die Ankerpartie. Oben angekommen werde ich vom Lumpensammler begrüßt. "Bist rausgefall'n?" Der Lumpensammler heißt Fritz Edwin, wobei Edwin der Vorname ist, und achtet darauf, dass alle Teilnehmer ins Ziel kommen oder, im Fall der Fälle, mit dem Heli Richtung Klinikum abtransportiert werden.

Heute wird Edwin zu meinem ganz persönlichen Kindermädchen. Da ich nicht nur die Letzte meiner Startgruppe, sondern des gesamten Feldes bin, nimmt er sich meiner an und weicht die gesamte Strecke nicht mehr von meiner Seite. Wenn ich falle, motiviert er mich; wenn ich nicht mehr kann, wartet er gnädige drei Sekunden; wenn ich fluche, hört er weg.

"Ja, mir komma scho noch an"

Den Hexenboden nehme ich mit ein paar annehmbaren Schwüngen und im nächsten Lift - einem Sechser vollkommen für uns allein - säuselt mir Fritz Edwin ins Ohr, dass ich doch eigentlich ganz gut fahre. Fast werde ich zickig, doch der Edwin ist so nett, dass ich ihm selbst seine regelmäßigen Telefonate mit der Zielleitung nicht übel nehmen kann: "Ja, mir komma scho noch an. Vor zwölf, ja. Die nette Snowboarderin ist einfach zu hübsch, um schnell zu fahren." Na danke. Viel sieht der reizende Über-Sechziger nicht von mir, und das, was er zwischen Helm, Brille, Schal und Snowboarderkampfanzug erahnen kann, ist bedeckt von Schweiß und Schnee.

In der Seekopfbahn bittet er seine Kollegen, schon mal den Champagner kalt zu stellen und für massig Applaus zu sorgen. Dann fragt er mich, ob wir nicht doch lieber auf der Balmalm einkehren und uns den letzten Platz schenken wollen. Aber ich will heute noch ins Ziel. Edwin nickt anerkennend: "Mir schaffn des zsamma, ge?"

Wenige Minuten und einige Dehydrationsphasen später bereue ich meinen Ehrgeiz. Die Madlochabfahrt liegt vor mir, der anspruchsvollste und längste Teil des Weißen Rings, noch dazu schön vereist. Ich bin kaputt und wenn ich nicht ganz gehörig aufpasse, sind es meine Knochen auch bald. Die steilen Stücke quälen meine steinharten Waden, ich kann nicht anders als mich einige Male hinzusetzen, um nicht zu verzweifeln.

Das Ziel kommt näher


Doch auch hier gilt: Zähne zusammenbeißen, aufhören zu heulen, den anderen wird es an dieser Stelle auch nicht anders gegangen sein. Erleichtert lasse ich die Madlochabfahrt hinter mir und genieße die Stille im Lift. Verstohlen blickt der Edwin auf seine Uhr. "Jetzt müssen mir uns aber beeilen." Aufmunternde "Hopp-Hopp-Hopp"-Rufe von Zuschauern und Streckenposten motivieren mich, noch einmal alles zu geben. Und siehe da, ich kann es. Über die letzten Hänge schnelle ich mit eleganten Schwüngen durch die Tore und lasse keines aus, obwohl die Posten es mir anbieten. Edwin hat mich schon per Funk angekündigt: "Da kommt eine, die isch müd."

Zum ersten Mal in den vergangenen anderthalb Stunden verfluche ich die orangen Fähnchen an den Toren nicht, in der Ferne kann ich schon das Ziel sehen. Ab jetzt nur noch genießen und ein wenig posen. Die paar Zuschauer, die auf meine Ankunft gewartet haben, sollen schließlich noch was zu sehen kriegen. Lässig, wie es sich für einen Snowboarder gehört, passiere ich das letzte Tor und atme erleichtert aus. Es ist 11:52. Ich habe den Weißen Ring in Rekordzeit geschafft. Eine Stunde und 35 Minuten. Langsamer war nur einer der anderen 699 Teilnehmer.

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